Mittwoch, 18. September 2013

Spießer wählen



Kürzlich stand es in der ZEIT: die Grünen „schauen sich bei ihrer eigenen Verspießerung zu“. Die Grünen als Spießer, ganz neu ist das nicht mehr, aber sobald ich es mir vor Augen führe, überrascht es mich doch. Sobald ich mich für einen Moment an die Geschichte der Grünen erinnere. Und ich meine gar nicht die ersten Reihen der grünen Ahnherren, die noch mit ein paar handlichen Wurfsteinen in den Hosentaschen bis ins Außenministerium stürmten. Soweit denke ich gar nicht zurück. Ich denke an Hans-Christian Ströbele, 2002, auf der Hanfparade. So habe ich die Grünen kennengelernt. Das sind meine ersten Assoziationen, wenn ich an politische Ziele der Grünen denke. Ströbele, der damals die 60 schon überschritten hatte, schreit die Freiheit für das Hanf heraus, das musste wohl ein politischer Gefangener sein, und auf der Straße wurde für seine Freilassung demonstriert.
Und zehn Jahre später: Hanf wurde nicht in die Freiheit entlassen, nein, Rindfleisch und Nikotin sollen ebenfalls gefangengesetzt werden. Das sind die Grünen kurz vor Bundestagswahl 2013.

Hätte man zumindest für die Veggie-Days den legalen Cannabis-Konsum in Aussicht gestellt, die Grünen ständen heute besser da. Nun soll verboten werden, was stört. Gute Gründe gibt es natürlich immer: Massenzigarettenhaltung in zu kleinen Schachteln, Passiv-Fleisch-Konsum – ich kenne mich da nicht so gut aus. Aber ja, Gründe gibt es immer.

Nicht, dass das zu Verwirrungen führt – das ist nun nicht unbedingt spießig. Nicht jeder, der gegen irgendetwas ist und nicht für alles, ist ja Spießer. Aber alles mit kleinen Verbotsschildchen zu versehen, alles auf eine Lebensanschauung hin umbiegen – das sind doch starke Anzeichen für die Verspießerung der Grünen.

Und einer zweiten Verwirrung soll vorgebeugt werden. Aus Sicht dieses Blogs muss nicht besonders vor den Grünen gewarnt werden, als wären hier die Spießer zu finden und sonst nirgends. Als sei das grüne Parteibuch der Neo-Bausparvertrag. Ich betreibe nun drei Minuten Feuilleton-Wissenschaft, um das abschließend klarzustellen:

Google-Treffer für…
‚Angela Merkel‘ und ‚spießig‘: 97.200
‚Philipp Rösler‘ und ‚spießig‘: 93.700
‚Peer Steinbrück‘ und ‚spießig‘: 23.100
‚Claudia Roth‘ und ‚spießig‘: 10.200
‚Gregor Gysi‘ und ‚spießig‘: 5.000

Claudia Roth hat vor einer Woche ein Interview gegeben zu diesem Vorwurf, die Grünen würden immer spießiger. Das Interview ist kaum Rede und Antwort wert. Denn die Claudia hat sogar selbst nen Gartenzwerg, was dann offenbar beides belegen soll: Ein Gartenzwerg ist nicht spießig und die Grünen sind nicht spießig. Bemerkenswert vor allem, dass ausgerechnet die taz dieses Interview mit Frau Claudia Roth führte. Die taz, die vor ein paar Jahren um den Neo-Spießer warb und nun – ganz subversiv – Claudia Roth als Spießerin entlarven will. Den Spießer, so meine Erkenntnis aus dem Interview, will die taz doch nicht mehr. Also vielleicht als Leser noch, aber nicht als amtierende Politikerin.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.