Donnerstag, 28. November 2013

Kreativität und Spießigkeit


Jetzt muss ich schnell darauf hinweisen. Bei der LBS sind bis Ende November großartige Preise zu gewinnen: ein Bausparvertrag mit 10.000 Euro Startguthaben, eine Nikon-Kamera, ein Staubsauger. Das spießigste Foto gewinnt. Ach nein, ganz anders: das kreativste Foto gewinnt. Kreativität und Spießigkeit – passt das? „Knips den Spießer in Dir!“ heißt die Kampagne der LBS. Aber die Fotos, die bis jetzt zu sehen sind, simulieren alle die Spießigkeit. Da geht keiner los und fotografiert den Garten seines Nachbarn. Das wäre ja nun auch wieder falsch, der Spießer soll ja, laut Kampagne, in einem selbst stecken und dann abgelichtet werden – ein dem Röntgen ähnliches Verfahren. Die besten Fotos sind also schlechte Loriot-Kopien. Im besten Fall also Spießer-Parodien. Und die schlechten Fälle: Nun, es wird vermutlich nicht reichen, den eigenen Hundewelpen zu fotografieren, wie er gerade so niedlich auf dem Plüschteppich liegt, und „ich vermisse dich“ darunter zu schreiben. Obwohl hier vielleicht eine authentische Spießigkeit aufgedeckt wurde. Obwohl hier vielleicht jemand dem Fotoauftrag der LBS ganz nahe kommt, weil er merkt, ach, unser Welpe, da werde ich ganz sentimental, da denke ich an nichts und niemanden mehr, da ist mir mein Horizont sowieso schnuppe, und Welpenfotos sind das schönste, was es gibt. Das könnte ein Versuch in Spießigkeit sein. Aber gewinnen, so prophezeie ich, wird kein Hundefoto.

Für die LBS, oder genauer, die Marketingagentur der LBS, ist Spießigkeit eine Rolle, die man spielen kann und dann wieder bei Gelegenheit aufhört zu spielen. Das zeigen die bisherigen Gewinner. Da ist der „Unterhosenbügler“, der mit Pfeife, Hosenträger, Strickpulli am Bügelbrett steht und eine Unterhose bügelt. Er bügelt aber gar nicht, er steht nur am Bügelbrett mit Bügeleisen in der Hand und auf dem Bügelbrett liegt eine Unterhose. Er schaut etwas von unten in die Kamera. So bügelt niemand. Oder der „Tagesplaner“, der vor einer kleinen Tafel steht und notiert: „Sonntag: Brunch, Golf, Mutti besuchen, Plan für Montag erstellen“. Eine künstliche Situation also, die Spießigkeit nur simulieren soll. Da denkt man doch wehmütig an Loriots „Pappa ante Portas“, der die Spießbürgerlichkeit so fein zu parodieren wusste. Aber natürlich: bei einem Fotowettbewerb gilt es aufzufallen. Der feine, gut gemachte Beitrag ginge sowieso unter.

Bemerkenswert ist: Sobald die Reflexion auf die Spießigkeit beginnt, sobald der Blick der Kamera da ist, der die eigene Spießigkeit aufdecken soll, greifen fast alle auf ironische Verfahren zurück. Sofort ist also eine Distanz da zwischen der Spießigkeit und dem „Künstler“ (Anführungszeichen nicht vergessen? Nein, sie sind da!). Vielleicht geht es gar nicht anders. Wenn ich den Spießer in mir hervorkehre und abbilde, kann ich ihn nur lächerlich machen; oder der Versuch geht gründlich schief, wie der „bequeme Spießer“, der an einem Fluss in der Hängematte liegt. Da liegt er, zweifelsohne bequem, aber wo ist der Spießer auf dem Bild? Er wird nur behauptet. 

Natürlich muss ich bei diesem Gewinnspiel auch mitmachen! Ich sende also mein Profilbild dieser Webseite. So subversiv darf man schon sein, wenn so schöne Gewinne winken.

Donnerstag, 21. November 2013

Expressionisten und Bürger (4)


Das Resümee am Ende dieser kleinen Reihe ist schnell angefertigt: Der Expressionismus war antibürgerlich. Das lässt sich zivilisationskritisch verstehen, denn so wie der Bürger sollte der Mensch eigentlich nicht sein. Theodor Haubach, ein weiterer Expressionist, schreibt ganz in diesem Sinne: „Bürger: d.i. kümmerlicher Mensch mit vermoosten Horizonten, enger begrenzter Nörgler am Leben, Sattzufriedener oder hämischer Besserer (hierher alle Reformer), ein Blutloser, Ordnungssüchtiger, Feind aller Höhen und Tiefen, Vergreister, Steriler, Botmäßiger, nie ganz Reiner, nie ganz Böser.“

Das ganze lässt sich aber auch als Provokation der jungen Künstler lesen. Eine neue Kunstrichtung entsteht und sie bekommt Profil, weil sie sich abgrenzt. Das Alte soll nun alt aussehen. Wer die junge, neue Kunst ablehnt, muss dann folgerichtig einen begrenzten Horizont haben, er ist gestrig, ein Nörgler und vieles mehr. Natürlich, man darf den Expressionisten glauben, dass sie die alte Bürgerlichkeit nicht mehr wollten. Aber zugleich ging es ihnen ganz prächtig damit. Klare Freund/Feind-Linien, hier die Künstler, drüben die Spießer.

So funktioniert Kunst in der Moderne, könnte man sagen. Und es ist wohl nicht lange her, da hätten viele brav zustimmend die Köpfe genickt. Neue Kunst wird immer verkannt, setzt sich gegen das alte durch, indem es dieses niedermacht. Das haben sich die Expressionisten nicht ausgedacht und sie waren auch nicht die letzten, die das ausprobierten (erstaunlich konsequent waren sie allerdings).

Heute funktioniert Kunst offensichtlich anders. Hanno Rauterberg durfte das in der letzten Woche auf der Titelseite der ZEIT darlegen. Jeff Koons lustiger Ballon-Hund wurde für 43 Millionen Dollar versteigert. Nun, über die absurden Preise, die auf dem Kunstmarkt gezahlt werden, wundert sich niemand mehr, soll das Geld doch dahin fließen, der „Balloon Dog“ beißt keine Kinder.

Der weltberühmte Jeff Koons oder doch der freundliche Herr Konemann aus der Sparkasse Lüdenscheid?
Bild von David Shankbone, Quelle: Wikimedia.

Aber Hanno Rauterberg trifft es ganz genau, wenn er schreibt, das sei überhaupt erst Kunst, weil sie teuer ist. Der Preis macht die Kunst, verleiht ihr den „scheinbar überzeitlichen Rang“. Ist ja auch viel praktischer: Noch zeitlebens in die Riege mit Munch und Kandinsky aufgenommen zu werden und nicht erst sich durchsetzen müssen; nicht erst alle provozieren und den Bürgerschreck spielen; nicht erst eine neue Ästhetik den anderen aufzwingen wollen; nicht erst lamentieren, das niemand einen verstehe – um dann eine Generation später vom Establishment geschluckt zu werden.

Wer jetzt „Stimmt!“ denkt, der hat etwas nicht verstanden

Quellen: das Zitat von Haubach nach Thomas Anz: Literatur des Expressionismus, Stuttgart, Weimar: Metzler 2010.
Hanno Rauterberg: Ein Miliionenpudel, in: DIE ZEIT, 14.11.2013. 

Mittwoch, 13. November 2013

Expressionisten und Bürger (3)


Bei Jakob van Hoddis ging die Welt des Spießers unter. Untergangsphantasien, Weltende, Krieg – das sind Themen, die im Expressionismus häufig anzutreffen sind. Da gehört keine Kunst der psychoanalytischen Interpretation dazu: Die Expressionisten waren unzufrieden. Besser, die Welt geht erstmal unter. Dann lieber ein Krieg, lieber im Schützengraben sitzen als träge im verspießerten Rosengarten. Kurz nach Ausbruch des Krieges, 1914, änderten viele ihre Meinung äußerst schnell. Die Kriegsbegeisterung nahmen gerade viele Expressionisten bald zurück, Pazifismus nun stattdessen.

Während und nach dem Ersten Weltkrieg musste die Welt des Spießbürgers also in der Literatur nicht ständig in Flammen aufgehen. Doch die Unzufriedenheit blieb. Die Expressionisten kamen nicht aus dem Krieg zurück, um nun Bausparverträge abzuschließen und in Schützenvereine einzutreten. Der Mensch sollte runderneuert werden, der alte kleinkarierte Bürger gehöre abgewrackt. Dahinter steht auch der Wunsch, es müsse doch einen Menschen im Bürger geben. Oder kommt immer nur der spitze Kopf zum Vorschein, wenn der Hut hinunter geflogen ist?

Hier lässt sich eine Nebenbemerkung zu Albert Camus machen, der vor einer Woche hundert Jahre alt geworden wäre. Ihm könnte man, ähnlich wie den Expressionisten teilweise, vorwerfen, er schriebe über einen Menschen, den es gar nicht gäbe. Der Mensch ist doch immer schon verflechtet, verwoben, verknotet in der Gesellschaft. Den nackten Menschen, den ohne Hut, den gibt es nicht. Ja, genau. Den gibt es nicht. Der war auch im frühen 20. Jahrhundert nirgends zu sehen. Überall sah man nur die gesellschaftlichen Normen auf der Straße spazieren gehen. Oder man sah den Berliner Textilarbeiter, anderthalb Zimmerwohnung, dort zu fünft lebend, im Keller, feucht, ohne Licht, und man hörte ihn: ein Prosit auf die Industrialisierung! Der Blick auf die gesellschaftliche Verknotung wäre das eine (auch das gab es im Expressionismus), die Frage nach dem Menschen, der erste im Frack, der zweite in Lumpen, das andere.

Also ein Blick auf die Innerlichkeit. Die sollte doch unbedingt entscheidend sein für den Menschen und nicht solche Äußerlichkeiten, wie Stadtvilla und Zylinder. Franz Werfel, schon wieder ein Erfolgsautor, anders als van Hoddis, heute belächelt, veröffentlichte 1918 die kleine Erzählung „Blasphemie eines Irren“. Der Erzähler dieser Geschichte sagt, er sei Gott, aber der Titel legt es schon nahe, es ist nur die Blasphemie eines Irren. Oder nicht? Ist hier doch der Christus zurückgekehrt, und er kommt ins Irrenhaus, weil ihm keiner glauben mag? Werfel versucht in seiner Erzählung beide Möglichkeiten ins Spiel zu bringen. Und natürlich: Die staatstreuen Spießbürger haben den Christus eingesperrt. Was nicht sein kann, das darf nicht sein – wird also weggesperrt. Innerlichkeit, Religiosität, Musik, Kunst: Das versucht Werfel dem Spießbürger entgegenzusetzen.

Franz Werfel, perfekt inszeniert aber stellt man sich so den Autor des 'Weltfreunds' vor? Foto von Carl van Fechten, Quelle: Wikimedia.

Der Spießer wird hier bei Werfel vor allem zu einem oberflächlichen, staatstreuen und pflichtbewussten Bürger. Wenn Franz Werfel, selbst Jude, darüber 1918 schreibt, dann mag man das nicht schnell abtun, dann hört man schon das Bedrohliche – das viel mit Staatstreue zu tun haben sollte.

Quellen:Franz Werfel: Blasphemie eines Irren, in: ders.: Die schwarze Messe. Erzählungen, hg. von Knut Beck, Frankfurt a.M. 1989.

Und zum vierten Teil der Expressionismus-Serie.

Freitag, 8. November 2013

Expressionisten und Bürger (2)


Die Expressionisten, zwar vielfach Bürgerssöhne – und wenige, aber ganz ausgezeichnete Töchter – griffen das Establishment an. Sie grenzten sich ab vom Spießbürgertum. Doch die Bürger waren auch nicht untätig, Stifte zückend, Speichel spuckend, wie sich Wassily Kandinsky erinnerte, machten sie die Expressionisten und deren Werke nieder bzw. so feucht, dass der Ausstellungsleiter am Ende des Tages mit einem Tuch alles trockenwischen musste. Eine schöne Umkehrung: Das Establishment von damals wirkt heute so, als hätte es absolute Außenseitermeinungen kundgetan. Die expressionistischen Stars bekamen von der Kunstgeschichte schließlich Recht gesprochen, die damaligen Spießer wurden zu überlebenslanger Lächerlichkeit verurteilt.

Ein Herr Hentig nahm 1910 bei einer Veranstaltung des „Neopathetischen Cabarets“ teil. Dort lasen verschiedene Expressionisten, wie eben Jakob van Hoddis oder Georg Heym, die erst wenig später zu Ruhm gelangen sollten. So schrieb Herr Hentig einen ironischen, sehr bissigen Artikel, der in einer Münchner Zeitung veröffentlicht wurde. Damals lachte der Münchner Bürger über diese Absurditäten, die da in Berlin stattfanden, heute lacht der Leser über Herrn Hentig und seine vollkommene Fehleinschätzung:

„In einem kleinen, warm-braun getäfelten Raum sind ungefähr 50 Personen anwesend. […]
Nun wird es dunkel. Eine besonders neopathetisch konstruierte Lampe wirft ihre rückwärts gewandten Strahlen auf das blasse Kindergesicht eines Jünglings, der mit einigen glatten Worten sich und seine Bestrebungen willkommen heißt und die Eigenart der Neopathetiker zu erklären sucht. Ich habe das alles nicht mehr behalten und glaube nicht, daß es besonders eigenartig war. […]
[Georg Heym] schmettert mit energischer Stimme ein paar Gedichte seinen Zuhörern ins Gesicht. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Würmern, die im Kopf einer Leiche umherschwirren und sucht, uns auch dafür zu interessieren. Als irgendeiner schüchtern lacht, wirft er dem Publikum  einen scharfen Blick zu. Schon fürchten wir, er will uns mit der Entziehung seiner Gedichte bestrafen. Aber nein, die Gefahr geht vorüber. Am Schlusse Jubel. […]
Das Schlimmste aber erleben wir jetzt. Ein junger Mann, der sich J. van Hoddis nennt, nimmt auf dem Podium Platz und lächelt schon von vornherein schadenfroh, über die gemißhandelten Zuhörer. Dann liest er so schnell seine Machwerke ab, daß man überrascht nicht mehr Zeit hat, zur Tür zu kommen. Nach jeder Strophe lächelt er befriedigt. Ich habe selten so etwas bodenlos Häßliches gehört […].“

Der Text bringt an verschiedenen, hier nicht zitierten Stellen üble Ressentiments, zum Beispiel antisemitische. Das passt, denn der Spießer bedient sich solcher unreflektierten Zuschreibungen, aber das ist auch so komplex und wichtig, dass ich es an anderer Stelle ausführlich in den Blick nehmen muss. Hier lässt sich erst einmal festhalten: Der Expressionismus war den Bürgern zu hässlich. Auch wenn van Hoddis in seinem berühmten "Weltende" rhythmische und reimende Verse schreibt, er bricht mit den Lyrikkonventionen. Die Ironie, die Groteske, das Unpassende – das alles gehörte nicht in ein Gedicht, das ausgewogen, schön, harmonisch sein sollte. Ein Meer ‚hupft‘ nun einmal nicht, und dabei sollte es bleiben.

Und ähnlich die Malerei: hässlich, albern, kindisch. Die Reaktionen auf die Ausstellungen der Neuen Künstlervereinigung München sind bezeichnend. Zu sehen waren Bilder unter anderem von Kandinsky und Picasso. Man meint heute, der Schreiber der folgenden Zeilen muss doch etwas übersehen haben, es muss noch eine andere Möglichkeit geben, diese damals gezeigten Bilder zu erklären. Er sah nur zwei: „Diese absurde Ausstellung zu erklären, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man nimmt an, dass die Mehrzahl der Mitglieder und Gäste der Vereinigung unheilbar irrsinnig ist oder aber, dass man es mit schamlosen Bluffern zu tun hat.“

Wäre eine kostspielige Kinderzimmerverschönerung: Franz Marc: Affenfries, Quelle: Wikimedia

Eine schlechte Kritik ist besser als keine. Aber auch das Ignorieren half letztlich nicht. Von der ersten Ausstellung des „Blauen Reiters“, die heute immerhin ‚legendär‘ genannt wird, wurde in den Zeitungen und Zeitschriften kein Wort gesagt. Trotzdem gingen die Bilder von Kandinsky, Marc und anderen auf Tournee durch Deutschland und Nordeuropa.

Da sieht der Spießbürger nun alt aus. Da hat er sich gerade durchgerungen, einen Seerosenteich von Monet unter Umständen doch schön zu finden, schon machen diese sogenannten Maler wieder alles anders: blaue Pferde! Die Versuche des Bürgers, die Grenzen seines guten Geschmacks für alle aufrechtzuerhalten, gingen schief.  

Franz Marc: Die großen blauen Pferde, Quelle: Wikimedia.

Quellen: das Zitat von Hentig, zit. nach Thomas Anz: Literatur des Expressionismus, Stuttgart, Weimar: Metzler 2010, S. 25f.
zum Blauen Reiter und auch das Zitat aus: Sybille Engels u. Cornelia Trischberger: Der Blaue Reiter, München u.a.: Prestel 2005.

Hier geht es zum dritten Teil der Serie.