Freitag, 28. Februar 2014

Ordnung und Spießigkeit – in eigener Sache


Ist Ordnung spießig? Wie ordentlich muss jemand sein, damit er sicher als Spießer identifiziert werden kann? Reicht es dafür schon, wenn jemand den Rasen mit dem  elektrischen Bartschneider trimmt oder muss es die gute alte Nagelschere sein? Ist das spießig? Oder wer alte Einkaufszettel in Ordnern ablegt – spießig oder nicht?

Übermäßige Ordnung wird belächelt oder sogar verdächtigt. Auch die Sprichwörter bestätigen das – ich kann mir die immer so schlecht merken. „Ordnung ist das halbe Sterben.“ Oder: „Wer Ordnung hält, ist nur zu brav zum fluchen.“ So ähnlich gehen die.

Die Formel ‚Ruhe und Ordnung‘ hat jedenfalls einen vergifteten Klang. Als politische Formel, die die Rechtssicherheit betont, wurde sie im Nationalsozialismus gerne benutzt, um eben ‚Ruhe und Ordnung‘ herzustellen – auch gegen geltendes Recht. Da wird die ‚Ordnung‘ gefährlich für die, die irgendwie als unordentlich gelten. Dann bekommt Unordnung etwas heroisches – was der Jugendliche gerne hört, was aber für sein Kämmerlein, in dem er gerade die Kippe auf dem Philipp-Starck-Stuhl ausdrückt und sie in die Dreckwäsche schnippt, eigentlich nicht gilt. Denn natürlich: Ordnung halten, ist zunächst ganz unschuldig. Ein Zuviel wird problematisch.

Ganz ohne Ordnung wird alles verwirrend, und ein bisschen Ordnung muss ich hier im Blog schaffen. Ich habe gerade – gemeinsam mit Jochen Walter – einen neuen Blog begonnen, ganz seriös, auf den ich zunächst in eigener Sache hinweisen möchte: http://blogumschau.de/
Über Besucher freuen wir uns!

Mit meinem Spießer-Blog bin ich jedoch noch nicht fertig! Neue Posts werden voraussichtlich nun einmal die Woche immer am Donnerstag oder Freitag erscheinen – so die geplante Ordnung. Und Ironie, Kalauer, Unsinn werden hier eher zunehmen.

Mittwoch, 19. Februar 2014

Kindergarten. Wieder Drama


Beim Bloggen finde ich es ganz unterhaltsam, dass ich sehe, welche Texte, wie häufig gelesen werden. Sofort tappt man in die Fortsetzungsfalle und aus einem Spießer-Blog wird ein Kindergarten-Blog. Dabei war der Pate II eine Ausnahme, Speed II ist die Regel.

Ich setze trotzdem fort. Stoff gibt es genug, da muss ich gar nicht einen Bus gegen ein Boot tauschen –  die Anforderungen an amerikanische Drehbuchautoren sind in den letzten Jahren gestiegen –, um nochmal richtig Nervenkitzel zu erzeugen

Personen:
Kati                 Vorsitzende im Elternvorstand des Kindergartens; Mutter von Lise und Max
Agnes             im Elternvorstand des Kindergartens; Mutter von Justus
Luisa               Mutter von Jakobina
Lorenz             Vater von Oktavian und Baptiste
Arne                Vater von Olga-Paloma-Bianca
Weitere Mütter und Väter

Der zweiwöchentliche Elternabend. Alle sitzen im Kreis auf den Kinderstühlchen. Arne, etwa 1,90cm groß und mit einem Rückenleiden geht immer wieder in den Vierfüßlerstand nach vorne. Die Eltern, die durch die regelmäßigen Elterndienste die Kinder gut kennen, besprechen deren Probleme und Fortschritte.

Agnes: Heute sind ja, wenn ich auf meinen schlauen Zettel schaue, der liebe Oktavian und die liebe Lise dran. Da bin ich schon ganz gespannt, was ihr alles berichten könnt. Aber vorher hat Luisa mich gebeten, dass ich nochmal das Thema Allergien anspreche. Das ist natürlich wichtig, und das sollten wir zuerst besprechen.
Luisa: Ich möchte vor allem daran erinnern bei den Kochdiensten: Ihr müsst an Alternativen denken. Wenn man an einer Laktose-Intoleranz leidet, dann ist eine Käsesoße keine Alternative zu einer Sahnesoße,
Lorenz: Doch eine Alternative ist es schon.
Luisa: Nein, das ist keine Alternative, das ist das gleiche. Wer keinen Käse verträgt, ist hier nur zweite Klasse.
Kati: Das geht zu weit!
Lorenz: Wie schlimm ist die Intoleranz denn?
Luisa: Wird schlimmer.
Lorenz: So mancher Hartkäse ist laktosefrei. Dann ist das schon eine Alternative.
Luisa: Es geht grundsätzlich um die fehlenden Alternativen. Jemand hat Walnussöl benutzt.
Lorenz: Aber dagegen ist niemand allergisch!
Lusia: Ich habe aber den Verdacht.
Lorenz: Keine Nüsse mehr?
Luisa: Ich will doch nur eine Alternative haben.
Agnes: Gut, wir versuchen noch viel besser als bis jetzt, an die Alternativen zu denken, ja Luisa. Das machen wir alle gerne für die kleine Jakobina, einverstanden?
Luisa: Jetzt macht mein Kind hier zusätzliche Arbeit, oder wie?
Arne, der sich gerade im Vierfüßler befindet: So hat sie es nicht gemeint.
Lorenz: Eine Alternative ist zusätzliche Arbeit, meine Käsesoße war zusätzliche Arbeit. Das darf man doch sagen. Ich sage Oktavian, er soll ehrlich sein.
Kati: Gut, also nun Oktavian: Der hat sich sozial enorm entwickelt. Der teilt jetzt gerne.
Agnes: Ja, der hat sich sozial so toll entwickelt. Der gibt immer ab. Der war als erster beim Holzauto draußen und dann durfte sich Justus draufsetzen. Das fand ich so toll. Justus hat das gleich zu Hause seinem Papa erzählt, du, Papa, der Oktavian, der hat mich zuerst auf das Holzauto gelassen. Da haben wir alle drei gesagt, wie toll sich der Oktavian entwickelt hat, sozial.
Arne, der sich auf den Boden gelegt hat: Und wie der zählen kann. Mathelehrer als Vater, das merkt man.
Luisa: Und macht gar keine zusätzliche Arbeit.
Lorenz: Wie bitte?
Arne: So hat sie es nicht gemeint.
Luisa: Lise zählt dagegen immer falsch: 1,2,3,4,6,7,8. Jedes Mal.
Lorenz: Ja, das wollte ich auch ansprechen. Nicht, dass da später eine Rechenschwäche draus wird, dass sie Angst vor Mathe bekommt.
Kati: Lise hat keine Rechenschwäche.
Lorenz: Aber sie zählt immer falsch. Wenn da fünf Äpfel liegen, zählt sie 1,2,3,4,6.
Kati: Lise hat keine Rechenschwäche.
Agnes: Aber jedes Kind hat doch auch Schwächen. Oktavian lispelt dafür so lustig. Wenn er Justus ruft, er kann das ja gar nicht rufen, ohne dass es so lustig klingt. Juffduff, ruft er immer, das finden wir so hübsch. Ralf, mein Mann sagt schon immer, wir sind Agneff, Ralf und Juff.
Lorenz: Ihr macht euch lustig?
Arne, wieder im Vierfüßler: Aber so hat sie es nicht gemeint.
Lorenz: Der Sprachtherapeut sagte: nicht behandlungsbedürftig! Versteht ihr, nicht behandlungsbedürftig. Der Mathelehrer dagegen sagt zu Lise: sehr wohl behandlungsbedürftig!
Luisa: Mathe kann man behandeln?
Lorenz: Und immerhin, Oktavian benimmt sich hier anständig. Jakobina dagegen hat in der letzten Woche, ich wollte das eigentlich gar nicht zur Sprache bringen, zu Lise „Kackarsch“ gesagt.
Luisa: Knackfrosch? Und warum?
Arne: Aber sie meint das doch nie so.
Kati: Hat sie das schon öfter gesagt?
Lorenz: Davon weiß ich nichts. Ich rede von der letzten Woche. Da sagte sie zu Lise sehr laut und deutlich „Kackarsch“.
Agnes: Wo hat sie denn solche Wörter her? Musste Justus das denn hören?
Luisa: Knackfrosch oder Kackarsch?
Lorenz: Das zweite.
Luisa: Sie hat einen Knackfrosch.
Lorenz: Aber den meinte sie nicht.
Luisa: Der knackt.
Kati: So möchte Lise nicht genannt werden, kein Wunder, wenn sie sich dann bei Mathe nicht richtig konzentriert.
Luisa: Aber es ist nur ein Frosch.
Lorenz: Nein, ein Arsch.
Agnes: Nein, also, so etwas möchte ich aber nicht hören. Da werden ja meine Ohren schmutzig. Das sag ich Justus dann. Aber so etwas hat der noch nie gesagt, also solche Wörter kennen wir zu Hause gar nicht.
Luisa: Und meine Tochter bringt diese Wörter von zu Hause mit?
Kati: Das hat niemand gesagt. Sie wird sich entschuldigen.
Luisa: Weil ich ihr einen Frosch geschenkt habe?
Lorenz: Nicht Frosch.
Luisa: Du hast schmutzige Ohren, Lorenz.
Arne, der einen Katzenbuckel macht: Vielleicht war es Knackarsch?
Kati: Also bitte. Sie wird sich entschuldigen.
Luisa: Weil sie Mühe macht und weil sie andere Kinder möglicherweise beleidigt haben könnte?
Kati: Es ist nur eine Entschuldigung. 
Luisa: Nur?
Kati: Und Lise besteht darauf.
Luisa: Sie wird Lise auch einen Knackfrosch schenken.
Arne: Na wunderbar.

Montag, 10. Februar 2014

Tatort: Der Krimi für den Spießer?


Hin und wieder werde ich von Freunden auf meinen Blog angesprochen. Ob Das-und-das nicht spießig sei? Ich reagiere meistens so überrascht wie Harry Luck, als er, kurz nachdem er ein Buch über den Spießer veröffentlich hatte, in einem Interview ausgerechnet auf diesen angesprochen wurde. Da hat man nur schnell ein Büchlein dazu rausgehauen, und schon soll man sich im Thema auskennen?!

Also, die Frage war: Ist der Tatort spießig? Ja, ich schaue den gerne, müsste also etwas dazu sagen können. Freunde erzählten, dass sie, nachdem sie mal bei einer anderen Gelegenheit vorgeschlagen hatten, den Tatort in einer kleinen Gruppe gemeinsam zu sehen, als vermeintliche Spießer dastanden. Und ‚Deutschtümelei‘ sei das.

Nun, gestern war Berlin, Ritter und Stark. In der letzten Woche, Faber in Dortmund, wollte ich diesen Text nicht schreiben. Das wäre zu einfach gewesen, Faber teil die Tatort-Fans, man kann ihn hassen, man kann ihn lieben. Das ist schon mal ein schlechtes Indiz für ein spießiges Format. Jörg Hartmann spielt den Faber auch zu intensiv, zu knapp vorm Wahnsinn. Ein Auto mit dem Baseballschläger zertrümmern, Phantasien vom Kindesmissbrauch artikulieren, immer wieder auf Dachkanten von Hochhäusern herumstehen. Das klingt nicht nach einem Sonntagabendprogramm für den Spießbürger.

Nun, gestern war Berlin. Berlin hatte in den letzten Jahren einige Höhepunkte, darf aber insgesamt als ziemlich prototypisch gelten. Das ist oft Mörderraten – so wie gestern – das ist oft ein bisschen Großstadt und ein bisschen Provinz – so wie gestern – das mischt ein klein wenig Humor mit etwas mehr Betroffenheit – ja, genauso wie gestern. Und dann lässt es sich wunderbar über die kleinen Abweichungen reden: Die Musik war doch toll diesmal!

Tatortschauen ist stark ritualisiert. Keine verblüffende Erkenntnis. Da werden Freunde, die sonntags zum Abendessen eingeladen wurden, nach der Vorspeise wieder hinausgebeten, der Tatort naht. Wenn die beim Essen auch so trödeln müssen.

Das stark ritualisierte macht verdächtig. Und auch das mittelmäßige. Es ist kein Schrott, es ist selten Kunst. Das verschreckt niemanden, und das rührt an keine Ideale, wie Brentano sagen würde. Das erfreut den Spießbürger, der nicht erschrocken werden will und sich an Idealen nicht die Finger verbrennen.

Das ‚Deutsche‘ des Tatorts dagegen ist vielleicht das Unspießige daran. Denn der Tatort, ob gut gemacht oder schlecht, ist ein Spiegel dieses ‚deutschen‘. Ein leichter sozialkritischer Wind, den auch der konservative Deutsche gern in seiner Jacke spürt zum Beispiel. Ein starker Ordnungswunsch, bei dem die Polizei pünktlich um 21.45 Uhr die Gefängnistür hinter dem Mörder schließt zum Beispiel, und dann der Sonntag endet und die Woche beginnt. Ein festes Schema ist wichtig, damit dann und wann genau dieses Schema thematisiert werden kann, damit man darauf aufmerksam wird. Das Mittelmaß hat also einen guten Zweck. Acht von zehn Mal rattern die Schemata und man sieht den deutschen Krimi, aber dann ein Mal ist es gar kein Krimi, kein Sozialkitsch, kein Mittelmaß, kein Bodenseewerbefilmchen, kein ausbuchstabiertes Political-Correctness-Wörterbuch. Ach, und der zehnte von zehn Tatorts? Über Ludwigshafen, nächsten Sonntag, schweige ich.