Montag, 1. September 2014

Nochmal Siedlungen, nochmal Spießbürger


Ich bin kein Vegetarier. Schon bevor überall Fleischfresser nach Entschuldigungen suchten, stand für mich fest: Leben ist sowieso Zerstörung. Es kommt auf das Maß an. Geringes Tierleiden finde ich wünschenswert, ein gutes Steak – auch wünschenswert. Wer keine Tiere essen mag, braucht das nicht. Jedenfalls werfe ich nicht mit Frikadellen nach Vegetariern.

Der Spießbürger hätte gern dort ein Gesetz, wo seine Toleranz aufhört. Das stört mich an den Siedlungen mit Autoverbot. Obwohl ich gerne in vielen Städten, die ich besucht habe, größere autofreie Bereiche ausweisen würde und 30-Zonen in den gesamten Innenstädten. Das gefiele mir. Das sind klare Verbote, und sie sind trotzdem etwas anderes. Sie verschärfen eine Regel, aber sie regeln nicht plötzlich in meinen Alltag hinein, wo ich bis eben noch ohne Gesetz bestens auskam. Das allgemeine Tempolimit auf Autobahnen ist deshalb davon zu unterscheiden. Noch gibt es Strecken, auf denen jeder seinen 106er Peugeot bis zum Anschlag treten darf, mit einem allgemeinen Tempolimit fällt ein (sehr kleiner) „rechtsfreier Raum“ weg.

Daraus lässt sich nun wiederum keine Regel ableiten. Manchmal führen strengere und neue Gesetze zu mehr Freiheit. Siedlungen, Dörfer und Kleinstädte am Mittelrhein beispielsweise: Am Mittelrhein, da wo Hase und Loreley sich „Gute Nacht“ sagen, fahren zu viele Züge. Bis zu 600 Züge fahren dort am Tag durch das Tal, wenn diese Informationen stimmen. Das Sehnsuchtstal der Deutschen wird gebraucht, um Dinge in Zügen hindurchzufahren. Je strenger die Gesetze hier eingriffen, desto besser, würde ich meinen. Historische Dampflok und Draisine – das sollte doch reichen.

Bingen am Rhein: ein Blick auf die Weinberge und den Fluss. Foto von Marcin Szala auf Wikimedia.

Aber wie gesagt, es kommt auf das Maß an. Ich schrieb: Der Spießbürger hätte gern dort ein Gesetz, wo seine Toleranz aufhört. Das stimmt so ebenfalls nicht. Am Ender vieler Toleranzen finden sich – glücklicherweise – sehr viele Gesetze. Niemand will, dass der eigene Treppenaufgang als Hundeklo benutzt wird. Und ich bin beispielsweise nicht dafür, dass in Hallenbädern nackt gebadet werden darf. Vieles, was halbwegs in Badesachen verpackt ist, möchte ich gar nicht sehen. Dieses zweite Beispiel trifft es besser, denn mir geschähe nichts, wenn nun alle – außer mir – in Hallenbädern nackt badeten. Meinen Treppenaufgang müsste ich sauber machen, im Hallenbad bliebe ich verschont. Ich bin daran nicht gewöhnt, und derzeit möchte ich mich nicht daran gewöhnen wollen.

Der aggressive Neo-Spießbürger wäre in diesem Fall nicht der Traditionalist, der Konservative, der auf seine Badehose nicht verzichten mag. Er ist derjenige, der seine Lebensweise – man darf alles anziehen, nur keine Badehose – per Gesetz durchdrücken möchte.

Zurück zu den Siedlungen. Ich bin zum Beispiel sehr für Regelungen, wie in einer Siedlung gebaut werden darf. Hier zeigt sich ein großes Dilemma: Gäbe es mehr Menschen, die stilsicher, mit einem Blick für die bauliche Umgebung ihr Häuschen planten, dann wären die fein ziselierten Gesetze, in denen beispielsweise festgelegt ist, dass die einzelnen Bretter eines Bretterzauns mindestens 8cm Abstand zueinander wahren müssen, gar nicht nötig. Aber sie sind nötig. Bedauerlich nur, dass oft die Stadtplaner ebenfalls wenig Stilsicherheit zeigen, und bei allem Streit über 7 oder 8cm Lattenabstand zum Beispiel vergessen, dass der Hausabstand noch mehr zum ästhetischen Gesamteindruck einer Siedlung beitragen könnte.

Ich bleibe also skeptisch. Klar, es gibt in Neubausiedlungen großartige Häuser. Aber schöne Siedlungen? Das sagt die Google-Bildersuche.

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