Montag, 13. Oktober 2014

Kunst? Im Fernsehen? Was soll das denn? Der Tatort mit Ulrich Tukur


Ulrich Tukur wird teilweise Selbstdarstellung vorgeworfen, was einen Schauspieler, der doch alle möglichen Figuren darstellen soll, dann beleidigen könnte. Er spiele immer nur sich selbst, konnte man lesen. Er stelle sich immerzu in den Mittelpunkt. Nun, es ließe sich auch sagen, Tukur besitzt nun mal eine so ungeheure Präsenz, das neben ihm kaum etwas ins Blickfeld gerät. Wenn Tukur auftritt, sieht man nur noch ihn. Im Tatort vom Sonntag gab es einen Gegenspieler, der mithalten konnte. Es war der Teufel selbst, der die zweite Hauptrolle im Tatort übernehmen durfte.

Wer heute die Kritiken durchgeht, findet vieles, was diesen Tatort so besonders gemacht hat: Diese Verdichtung der großen Schießerei zu Gemälden; der shakespearesche Sprecher, der noch weiterreden durfte, als er längst tot war; die Wild-West-Szene; die Tarantino-Zitate; Albernheiten, wie die Drinks für das SEK; die Musik etc. Das hatte mit der Tatort-Reihe, überhaupt mit deutscher Krimi-Tradition, höchstens in Anspielungen noch zu tun. Huch, das war ja Kunst, was da lief.

Und vor allem der Teufel selbst, der da spielte, sich also auch bloß selbst spielen musste, der in anderen Filmen als Schauspieler Ulrich Matthes im Abspann geführt wird. Glaubwürdig war das alles nicht, aber um Glaubwürdigkeit hat sich der Teufel nie gekümmert.

Der Teufel, der natürlich nett, scharfsinnig und witzig sein kann, gab sich deutlich zu erkennen, als er über Gottes ersten Zaubertrick sprach: Der Trick mit dem Licht, als der kleine rote Laserpunkt des Scharfschützen langsam über den Boden wanderte und erst am Herzen des nächsten Opfers anhielt. Das war einer von sehr vielen ausgeworfenen Ankern in die Kunst- und Kulturgeschichte, Shakespeare, Genesis, Beethoven. Aber ist das Ganze bedeutsam oder nur ein – sehr gut gemachtes – Spiel mit Zitaten. Lässt sich da ein Sinn herausklopfen?

Es ging um Rache. Rache ist also, das machten über vierzig Tote klar, keine annehmbare Lösung. Und so sagte es zum Ende auch der freundliche Sprecher. Aber um die Psychologie der Rache ging es ganz und gar nicht. Vollkommen an den Haaren herbeigezogen, wie in den wenigen kritischen Besprechungen des Films bemängelt wurde. Da kommt dieser Kerl nach dreißig Jahren zurück nach Deutschland und hat nichts anderes im Sinn, als sich an einem Kommissar zu rächen? Die Rache war allein ästhetisch begründet, und sie machte ja großen Spaß. Wenn ein Schüler „das gibt Rache“ schreit, wird man kaum darauf verfallen, ihm diesen Tatort als Gegenmittel anzubieten: Da siehst du, wohin Rache führt, und jetzt schmeiß die Machete in die Spree.

Das zielt gerade an den spannenden (ästhetischen) Fragen vorbei, die an einem solchen Tatort sich diskutieren ließen. Nämlich, warum kippt das hier in so einen Spaß um? Das fällt gerade bei der Tatort-Reihe so massiv auf, weil sie ja sonst oft – ein bisschen – sozialkritisch daherkommt. Hier bedauert man die Toten nicht, ich habe mich jedenfalls diebisch gefreut, als dieser dumpfe Schieß-Trupp die Pillen einwarf und es richtig losgehen sollte. Dieser „Krimi“ ist eher „Krimi-Spielen“. So wie Moral und Sozialkritik eben nicht am Platz sind, wenn Kinder Cowboy spielen und sich gegenseitig "totschießen". Das wirkt doch meistens pedantisch, neu-spießig, wenn die Eltern sagen, nein, nicht totschießen, nur ein bisschen verletztschießen, ja?! Allerdings, die Übergänge sind fließend vom Spaß zum Betroffensein, wie der letzte Tote des Tatorts deutlich machte. Das Spiel ist nicht in jedem Fall unschuldig, gespielte Rache handelt eben doch von Rache. Oder moralisch gewendet: Nicht alles, was sich wie ein Spiel anfühlt, hat mit Moral überhaupt nichts mehr zu tun.

Woran es dann liegt, ob das Spiel unschuldig ist oder nicht und bis zu welchem Grad? Und wann kommt die Moral ins Spiel? Bei diesem Tatort lag es – wenn man mir da überhaupt folgen will – an der ganz deutlich hergestellten Empathie des Zuschauers. Der letzte Tote wurde zuvor zum Mitfühlen angeboten.

Wenn also der kleine Jakob seinem Freund Peter mit der Spielzeugpistole vor die Brust schießt und „du bist jetzt echt tot“ ruft, aber im nächsten Moment seinen verletzten Teddy mit besorgtem Gesicht zu Tierdoktor Mama bringt – dann scheint mir alles in Ordnung zu sein.

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