Montag, 8. Dezember 2014

Nochmal Paul Adler


Ich zitierte aus Paul Adlers Nämlich: „Der Zweck der bösen Welt aber kann natürlich nur ein böser sein. Diese Bosheit, o Mensch, ist dein Vaterland.“ Das Vaterland als Zweck der bösen Welt, geradezu als das Böse schlechthin. Das klingt sogar heute noch etwas maßlos, überzogen, bisschen übers Ziel hinausgeschossen mit der Kritik. Da könnte man verleitet sein zu sagen: Das ist durch nichts zu entschuldigen, die territoriale Integrität Deutschlands so zu missachten. Und das betrifft ja nicht nur Deutschland, auch bei Serbien und den Westbalkanstaaten müssen wir nun genau hinsehen.

Schriebe das jemand heute in seinem Blog, die Bosheit schlechthin ist unser Staat, er würde in fast alle nur erdenklichen Ecken gestellt werden. Mindestens linksradikal, anarchistisch, pro-russisch, ökofaschistisch, regenschirmrevolutionär; nur so richtig rechts wäre das nicht einzuordnen. Der Verfassungsschutz wäre jedenfalls alarmiert und Adler bezöge demnächst vermutlich ein Gehalt als V-Mann.

Paul Adler veröffentlicht diesen Satz im Ersten Weltkrieg, und auch deshalb darf den Satz nur ein Wahnsinniger sagen. Das ginge sonst tatsächlich zu weit. Die Reden eines Wahnsinnigen aber lassen sich schlecht zensieren und wer die ernst nimmt, zumal in einem Roman, ist eben selber schuld. Adler versteckt nun allerdings nicht vor allem seine eigenen Ansichten hinter der Maske des Wahnsinns. Damit wäre der Roman zwar noch historisch interessant, als Roman jedoch langweilig. Es geht genau um dies: Wer die Reden des Wahnsinnigen ernst nimmt, ist eben selbst schuld. Da ist keine Autorität, deren „Intention“ zu entschlüsseln wäre. Der ganze Text besteht nur aus den Aufzeichnungen eines wahnsinnigen Protagonisten namens Paul Sauler. Der Leser muss schon selbst sehen, was er mit dem Text macht. – Und das ist schwierig genug.

Da meint man manchmal dem Wahnsinn Saulers auf den Grund zu kommen, er sagt selbst, er sei gar nicht verrückt, sondern man könnte ihn für verrückt halten, weil er in einem Haus der Verrückten wohne. Das verstehe ich, das ist deutlich. Damit ist wohl wieder die Gesellschaft, unser Staat gemeint. Ja, kommt mir auch verrückt vor, was da so passiert. Manch ein Lokführer mit fünf Jahren Berufserfahrung verdient nicht mal 2.500 Euro brutto im Monat und der Gewerkschaftschef bekommt nach ein paar Streiktagen Morddrohungen. Verrückt. Paul Sauler schreibt:

„Ich bin Paul, ehemals Künstler an unsrer kleinen Oper, jetzt beschäftigungslos und vielmehr verrückt. Gott, was habe ich da verraten? Wie sie alle erschrecken! Nein! Ich bin nicht verrückt, nicht verrückt in euerm klugen Sinne. Glaubt es, ich bin sehr intelligent, eine versteckte Begabung sogar ist in dieser letzten Zeit in mir zum Vorschein gekommen. Aber ich bin verrückt, verrückt nur deshalb, weil ich in einem Hause der Verrückten wohne.“

Das klingt in der Tat nicht nach verworrenen Sätzen eines wahnsinnig gewordenen. Doch dann sind da Aufzeichnungen in dem Text, wie:

„Zehntausend zur Rechten, zehntausend zur Linken. Hunderttausend mit leuchtenden Birnen in ihren ehernen Stirnen. Zu Hilfe, zu Hilfe dem Herrn Jesus! Mein Herr und Freund sitzt an meinem Bette. Flüchtest du, Urian? Rufst nicht mehr Urrah, Urraan? Auerhahn, wo kreischest du?“

Das ist weniger gut verständlich. Die Laute verschieben sich spielerisch und damit verschieben sich die Bedeutungen. Der Erzähler scheint diesem Spiel einfach zu folgen. Als bestimme er gar nicht, was er da formuliere, sondern als schreibe er vor sich und hin und versuche den Bedeutungen der eigenen Worte hinterherzukommen. Solche Passagen gibt es in großer Zahl in den Text und sie machen es dem Leser nicht leicht.

Muss ja nicht immer leicht sind. Und über Spießbürgerlichkeit bzw. Antibürgerlichkeit braucht man da jedenfalls nicht weiter spekulieren. Keine Literatur, die dem Spießbürger gefallen könnte.

(Mein Crowdfunding liegt in den letzten Zügen. Wer noch unterstützen will, tue dies bald.)

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