Freitag, 31. Januar 2014

Scheinlebendige, Neinsager, Karikaturen des Teufels: Brentano über den Philister


Lange ist das her. Ich saß bei meinem Cousin im Zimmer, und wir holten den Stoff der Geschichtsstunde nach. Wir hatten gesagt, wir holen den Stoff der Geschichtsstunde nach. Wir spielten Civilization. – Das gute an einer Computerspielreihe, die zwanzig Jahre lang immer wieder Nachfolger hervorgebracht hat, ist, dass ich mich gar nicht alt fühlen muss, wenn ich das schreibe. Welcher Teil es war, weiß ich beim besten Willen nicht mehr.

Wir spielten Civilization. Realistischer als der Geschichtsunterricht. Wir hatten großen Wert auf die technische Entwicklung unseres Volks gelegt. Erste Erfolge in der Wissenschaft der Optik, da schlitterte unser Volk unerwartet in den Monotheismus. Das war nicht geplant gewesen. Prompt standen einige Speerkämpfer auf der Karte, Philister genannt, die mit dieser religiösen Entwicklung offenbar nicht einverstanden waren. Da begegnete ich ihnen zum ersten Mal, den Philistern. Ungebildete Barbaren, die unserer Reiterei unterlagen.

Sonst haben sie kaum den Weg in die modernen Medien gefunden. In einem jüdischen Religionsunterricht müssten sie auftauchen, im modernen Evangelischen Unterricht wurde das Alte Testament ja oftmals gegen ein beliebiges Tierschutzprogramm ausgetauscht. Das Volk der Philister ist in der Antike untergegangen, und langsam verschwindet auch das Wort.

Vor zweihundert Jahren, Romantik, war das anders. Der Philister – ich erwähnte ihn hier schon einmal – wurde zum Modeschimpfwort der Dichter. Clemens Brentano, ein Dichter der, wenn ich das richtig sehe, immer mehr ins Hintertreffen des Kanons gerät, vermutlich verdrängt von Autoren, die sich für den Tierschutz engagieren, hielt vor Freunden und Bekannten ein Rede über den Philister. Sie erschien als kleines Büchlein 1811 mit dem Untertitel „Scherzhafte Abhandlung“, das ist im Gedächtnis zu behalten.

Der Philister, so wie Brentano ihn sieht, passt haargenau auf meinen Spießbürger. Doch Brentano erlaubt sich einen Umgang mit ihm, der heute irgendwie zu frech wirkt. Er hat einen diebischen Spaß, Gott auf seiner Seite zu wissen gegen die Philisterei. Das antike Volk wird in diesem Essay für einen Moment identisch mit dem philisterhaften Bürger. Wenn der alttestamentliche Riese Simson die Philister scharenweise mit einem Eselsknochen erschlägt, hört man Brentano vor Freude jauchzen. Das ist keine argumentative Strenge, aber auch kein schlechter Scherz.

Der Philister wird hart getroffen: „Ein Philister ist ein steifstelliger, steifleinener oder auch lederner, scheinlebendiger Kerl, der nicht weiß, daß er gestorben ist, und ganz unnötigerweise länger auf der Welt sich aufhält…“ Das ist ein großer Spaß, der teilweise noch immer gut funktioniert, aber wer überhaupt soweit gelesen hat, der hat sich bis dahin vermutlich ein paar Mal ganz ordentlich erschrocken.

Zwar geht es Brentano um den Philister, um eine Abrechnung, eine Abgrenzung, eine maßlose Übertreibung. Aber immer wieder taucht auch ‚der Jude‘ auf: „Gleich  den Flüssen nun hat diese edle Tischgesellschaft sich gesammelt, aus reinen, ursprünglichen und fröhlichen Herzen, und hat ausgewiesen auf ewig von sich, […] die Juden und die Philister […].“
Oder auch: „Bei den Juden assoniert [das heißt so viel wie „reimt sich“] Edel auf Ekel, bei den Philistern auf Esel.“

Da ist man mittendrin in der Vorgeschichte des grausigen Antisemitismus. Das klingt aus unserer Perspektive nicht nur ‚schief‘ oder ‚unangemessen‘, sondern fatal! Das hätte er besser nicht geschrieben. Aber warum lächle ich ungeniert über die Spötteleien, die den Philister oder Spießer treffen? Liegt es einfach daran, dass dieser eben nicht hunderttausendfach ermordet wurde?

Es gibt hier einen feinen, aber, so glaube ich, sehr wichtigen Unterschied: ‚Den Juden‘ behandelt Brentano – und das ist typisch – wie eine Geisteshaltung. Man kann ‚jüdisch‘ sein, so wie man spießig ist. Aber die Juden sind ein Volk. Es gab Juden. Es gibt Juden. Die Philister sind eben in der Geschichte verschwunden, der Typus des Spießers betrifft immer nur eine Geisteshaltung, aber keine tatsächliche, nur eine gedachte Gruppe von Menschen. Die Diskriminierung beginnt, weil ein echter jüdischer Mensch dann im Denken ‚der Jude‘ wurde, also mit dem Typus des Juden im Denken und Schreiben identisch wurde.

Da hat sogar die Geschichte von Civilization noch ihre Ungenauigkeiten, denn ach, das kümmerte uns alles nicht, als wir die Militärwissenschaft etablierten, die Kernfusion erfanden, die Raketentechnik einführten.

Quellen: Clemens Brentano: Der Philister vor, in und nach der Geschichte. Scherzhafte Abhandlung, Zürich: Manesse 1988.

Montag, 27. Januar 2014

Die Geschichte des Jägerzauns


An Zäune gibt es, vielleicht gerade in Deutschland, grässliche Erinnerungen. Was auf der einen Seite Schutz versprechen soll, ist auf der anderen Seite eine Androhung. Der Jägerzaun stellt sich dagegen friedlich in den Weg, er hat diesen historischen ‚Ballast‘ nicht zu tragen. Hinter einem Jägerzaun sperrt man niemanden weg, er sichert keine Grenzen. Er ist offenbar das harmlose Familienmitglied der Zäune, die in unzähligen Varianten auf dem Land, im Dorf und in der Stadt im Einsatz sind.

Man muss schon ziemlich weit in der Geschichte zurückgehen oder von Europa aus einen großen Schritt machen, um auf zaunlose Kulturen zu stoßen. Für Nomaden wären Zäune hinderlich gewesen, sie wären beim herumnomadieren ständig gestolpert. Auch im brasilianischen Urwald ist der Zaun ein exotisches Bauelement und genauso in der Steinzeit, in der die Jagd- und Sammelvereine keine Jägerzäune brauchten. Sesshaftigkeit scheint eine Vorbedingung für den Zaun zu sein.

Dort, wo die Menschen sich niederlassen, ziehen sie einen Zaun. Von Anfang an ist der Zaun tatsächlicher Schutz und zugleich ein Zeichen. Er grenzte den Garten ab vom Nachbargarten, oder er sicherte die Grenzen einer ganzen Gegend als ‚lebendiger Zaun‘, was man heute eher Hecke nennen würde. Ein großer Palisadenzaun oder eine dichte Hecke konnten durchaus eine Räuberbande zurückhalten oder den zu eiligen Prinzen, bevor die hundert Jahre um waren, vom Dornröschenschloss.

Eine Hecke, wie man sie in der Eifel oft noch sieht: sehr hoch! Bild von Stefan Heinz auf Wikimedia. 

Der kleine Zaun am Garten schützte eher das Gemüse vor den Tieren – und zeigte zugleich den Besitz an. Hier gehört auch der Jägerzaun hin. Der Fürst, der in einem Wald einen hohen Wildbestand förderte, um dann und wann eine aussichtsreiche, frustfreie Jagd veranstalten zu können, bereitete den Bauern damit Probleme. Die Felder wurden abgefressen. Unser Fürst erlaubte im Gegenzug den Bauern, Holz kostenlos im Wald zu schlagen, um die Felder vor dem Wild zu schützen: Jägerzäune entstanden, die sich, faltbar wie eine Ziehharmonika, gut transportieren ließen.

Nun muss man sich diese ersten Jägerzäune wohl etwas höher vorstellen, denn, nun ja, welches Wildtier schreckt vor den üblichen sechzig Zentimetern zurück? Ein Reh dürfte diese Höhe springend bewältigen können. Der Jägerzaun hat aber in den meisten Vorgärten gar keine Schutzfunktion mehr, nur eine symbolische. Und vielleicht ähnlich wie beim Spießbürger tritt die symbolische Funktion in den Vordergrund, wenn die ursprüngliche in den Hintergrund tritt. Wildtiere kommen zwar wieder in Städten vor, aber der Jägerzaun schützt nicht vor ihnen. Man braucht ja auch gar keinen Gemüsegarten, nicht einmal einen Garten, um einen Jägerzaun vor das Haus zu setzen. Er zeigt nur an: hier meins. 

Ein Jägerzaun, der im Idealfall Garten und Horizont sicher begrenzt.
 
Warum ausgerechnet der Jägerzaun ein Symbol der Spießigkeit werden konnte, ist eine schwierige Frage. Aber der Gartenzwerg neigt zum Jägerzaun. Eine andere Geschichte muss ergänzend erzählt werden: die Geschichte des ‚hortus conclusus‘, des geschlossenen Gartens, der vor allem im Mittelalter das Paradies darstellte. Der Paradiesgarten, ein geschlossener Raum, sicher und schön. Das Spießergärtchen mit Gartenzwerg und Jägerzaun wirkt nun gerade wie eine bürgerliche, schlecht gemachte Kopie davon. Nun liegt der Schluss halt nahe: Wenn der Bürger anfängt das Paradies zu planen, dann kommen erstmal Jägerzaun und Gartenzwerge. Paradiesisch wird das sicher nicht, bloß spießig.

Kein Spießbürger weit und breit: der Paradiesgarten. Bild "Das Paradiesgärtlein", ca. 1410, Frankfurter Städel, Quelle: Wikimedia.

Quellen: Art. Jägerzaun, auf Wikipedia.
Art. Zaun, in: Jacob u. Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch.
Daniel Kufner: Zaunkultur – eine künstlerische Bestandsaufnahme, auf http://www.ecotopics.de/ecopics/zaunkultur.pdf 

Sonntag, 19. Januar 2014

Kindergarten. Ein Drama


Es bleibt halbliterarisch, besser gesagt, es bleibt erdacht. Nie habe ich am Elternabend eines Kindergartens teilgenommen, nie habe ich mit irgendwelchen Eltern über Fischfond diskutiert, ich habe überhaupt noch nie über Fischfond diskutiert, Vegetarismus kenne ich bloß vom Hörensagen. Hörensagen also, das hier erneut als Beispiel dienen soll. Ein Beispiel – mehr nicht.

Die Szene spielt im Raum eines Kindergartens (eine so genannte Elterninitiative, also kein staatlicher oder kirchlicher Träger, sondern einige engagierte Eltern, die die pädagogische Richtung des Kindergartens vorgeben), alle sitzen auf den kleinen Kindergartenstühlchen im Kreis. Kinderbilder hängen an den Wänden, viele warme Farben, ein Buddha sitzt neben Maria mit dem Jesuskind, zahlreiche große Kissen liegen hinten an der Wand, wenige rechte Winkel.

Personen:
Kati                Vorsitzende im Elternvorstand des Kindergartens
Agnes            im Elternvorstand des Kindergartens
Ulrike             eine Mutter
Lorenz           ein Vater
Margarethe    eine Mutter
Weitere Mütter und Väter

Es ist der Abend, bei dem neue potenzielle Eltern den Kindergarten kennenlernen dürfen, ein Elternabend zum Kennenlernen. Kati und Agnes haben zuvor die Struktur des Kindergartens vorgestellt. Agnes hat viel über Engagement gesprochen, sie beginnt erneut vom notwendigen Engagement aller Eltern zu sprechen, es geht dann über in eine offene Gesprächsrunde.

Agnes: Wir helfen alle mit, dass es so gut wird. Nur wenn alle mithelfen, dann schaffen wir das auch. Das beginnt beim Kochen, Kochdienst alle zwei Wochen. Das macht mir solche Freude, wenn es unseren Kindern dann so schmeckt. Wenn die dann reinhauen, so sagt mein Mann immer.
Ulrike: Und dann bringe ich einen Topf mit, in dem Essen für zwanzig Kinder ist, oder wie?
Agnes: Nein, gekocht wird hier. Die Küche ist richtig gut ausgestattet, nein, das Kochen kann man hier den Vormittag über, das ist gar kein Problem, das soll ja auch frisch sein. Eine Mikrowelle benutzen wird hier nicht. Mein Justus, das habe ich letztens erst bemerkt, wusste gar nicht, was das ist. Das war so lustig, als er die bei Bekannten zum ersten Mal gesehen hat, mit so einem Drehteller. Der wusste gar nicht, was das ist. Das dreht ja, hat der gesagt, Mama, das dreht ja.
Lorenz: Nur vegetarisch nehme ich an?
Kati: Ja.
Lorenz: Und Fisch?
Kati: Vegetarisch.
Lorenz: Kein Fisch.
Kati: Ja.
Lorenz: Ich mache so gerne ein Risotto, da ist Fischfond drin.
Kati: Das ist ja auch Fisch.
Lorenz: Aber ohne Fischfond geht es nicht, dann ist der Pfiff weg.
Kati: Nein, wir haben das einmal entschieden. Es soll vegetarisch sein, wir können das natürlich wieder auf die Tagesordnung setzen, wenn dein Kind hier im Kindergarten angenommen wird, wir reden über alles, aber erstmal kein Fisch.
Margarethe: Fisch ist doch gesund.
Kati: Fisch ist Tier.
Agnes: Gekocht wird hier den Vormittag über, die Einkäufe bringt man mit, gekocht wird hier. Alle zwei Wochen. Und alle zwei Wochen auch Elterndienst. Da darf man den ganzen Tag dabei sein, da kann man selbst mitgestalten. Wir hatten so tolle Angebote im letzten Jahr, eine Mutter, die Inge, hat einen Rücken-Kurs gemacht mit den Kindern. Die Inge ist Physiotherapeutin.
Ulrike: Mein Kind hat keine Rückenprobleme.
Agnes: Die Inge macht das so super, das macht so einen Spaß. Und Ralf liest immer ein arabisches Märchen vor, auf Arabisch, das klingt so lustig, und unsere Kinder lernen was, den Klang der Sprache, sagt Ralf. Der Elterndienst ist besonders wichtig, da lernt man auch alle Kinder kennen.
Lorenz: Und Eier?
Kati: Über Eier wurde lange diskutiert. Ab und zu, haben wir beschlossen. Da gibt es eine Liste, da kann man das eintragen, damit es nicht zu oft Eier in einer Woche gibt.
Margarethe: Fisch ist viel wichtiger als Ei.
Kati: Wir haben das diskutiert.
Lorenz: Freilandeier?
Kati: Bio-Eier.
Lorenz: Ich kaufe immer bei Bröggel, direkt Hofverkauf. Die sind zwar als Freiland deklariert, aber den Hühnern geht’s da wirklich gut.
Kati: Bio-Eier.
Agnes: Und einmal die Woche wird ein Ausflug gemacht, in den Wald oder zu einem Bauernhof, jeden Mittwoch, also wenn das Wetter das zulässt. Wir haben im letzten Jahr Lama-Trekking gemacht, mit echten Lamas durch die Felder.
Ulrike: Jede Woche Lama-Trekking?
Agnes: Nein, also jede Woche ein Ausflug, aber nur wenn das Wetter das zulässt.
Lorenz: Dann könnten wir einen Ausflug zu Bröggel machen, dann könntet ihr sehen, wie gut es da den Hühnern geht.
Kati: Ausflüge nur zu Biobauernhöfen.
Agnes: Zu den Ausflügen dürfen dann alle Eltern mitkommen, das ist keine Pflicht, aber das ist so schön und dann ist es einfacher.
Margarethe: Aber die Elterndienste alle zwei Wochen sind Pflicht?
Agnes: Ja, natürlich, das geht ja nicht anders.
Margarethe: Und wenn ich da nicht kann?
Agnes: Bei Krankheit gibt’s Ersatz, das ist gar kein Problem, da muss man sich nicht quälen. Wir haben eine Telefonliste, die ist superpraktisch.
Margarethe: Und wenn ich arbeiten muss? Ich muss vormittags oft arbeiten, manchmal Nachtschicht.
Agnes: Dann kommt einfach dein Mann.
Margarethe: Das geht nicht.
Agnes: Man muss das schon wollen, ich habe auch manchmal Tage, an denen ich keine Lust habe, man muss schon das Beste für die Kinder wollen. Mein Mann sagt: Ohne unsern Fleiß gewinnen die Kinder keinen Preis.
Margarethe: Ach so?!
Agnes: Dann muss dein Mann vielleicht mal kürzer treten, das muss man schon wollen. Mein Mann lässt seine Praxis einen ganzen Vormittag geschlossen, das geht auch. Hat uns gutgetan.
Kati: Wer seine Zeit dafür nicht hergeben will, der ist hier falsch.
Lorenz: Ich könnte einen Mathekurs machen, Mathe ist wichtig, ich bin ja Mathelehrer. Ganz spielerisch würde ich das machen. Das wär doch nicht schlecht, oder?!

Dienstag, 14. Januar 2014

Ordnung in der Nachbarschaft. Eine Beispielgeschichte


Wieder einmal eine kleine Geschichte über ein paar Figürchen und ihre Ansichten, die ganz ähnlich sich zugetragen haben könnte, wenngleich mir nichts davon bekannt ist.

Joachim wartete auf Torsten in dem Café, das beide so gern hatten. Joachims Tochter und Torstens Sohn waren bei derselben Tagesmutter, was aus der Bekanntschaft so etwas wie eine Freundschaft gemacht hatte. Alles war hier in der Nähe: Joachim wohnte oberhalb des kleinen Hügels am Park, Torsten unterhalb, das Café war mittendrin, die Tagesmutter wohnte fünf Gehminuten entfernt. Auch alles andere war in der Nähe: Man traf sich beim Biobäcker oder auf dem Wochenmarkt vor der Käsetheke (der allerbeste Gran Padano), im „Abgekocht“ oder im „Haarscharf“ oder im kleinen Parkcafé, das Joachim und Torsten so gern hatten.

Joachim und seine Kati suchten schon lange nach einer neuen Wohnung, ihre Tochter mit anderthalb war längst zu groß für das Beistellbettchen, auch das gemeinsame Bett wurde nun zu klein für drei, und ein größeres, sogenanntes Ehebett, passte nicht ins Schlafzimmer, zumindest nicht, wenn die Nachttischchen, Erbstücke, daneben stehen sollten. Kati liebte die Nachttischchen, Erbstücke, sie liebte einen guten Schlaf, und sie liebte ihre Tochter. Also musste eine neue Wohnung gefunden werden.

Doch das war schwieriger als gedacht. Oder nein, es war genauso schwierig gewesen wie gedacht. Das Viertel zog an, wie man sagte. Man bildete sich ein, es wäre wie in Berlin, wo auf die Künstler die Anwälte und Medienberater folgten und dann die Mietpreise explodierten. So las man hier davon in den Zeitungen. Nur gab es keine Künstler. Auf die schlechter bezahlten Anwälte und Medienberater folgten die besser bezahlten. Die Künstler kamen hier in der Provinz ganz am Schluss mit einer Galerie oder einem Kunst-Café, die Gentrifizierung abrundend.

Das Viertel wollten Joachim und Kati nicht verlassen. Das war klar gewesen, alles andere konnte von Fall zu Fall entschieden werden. Der Garten wurde zuerst von der Wunschliste gestrichen, danach der Balkon, danach die zwei Badezimmer, danach die Badewanne, die hohen Stuckdecken, Holzfußböden. Die Wunschliste war leer bis auf das Viertel, das Joachim und Kati keinesfalls verlassen wollten. Nur einmal sahen sie sich eine Wohnung ganz im Süden an, also am anderen Ende der Stadt, nur einmal, dann waren keine weiteren Besichtigungen mehr nötig. Kati sah das neue Ehebett mit zwei Nachttischchen schon in ihrer Vorstellung und sah von dort in den eigenen Garten hinaus. Sie unterschrieben. Und das wollte der Joachim dem Torsten nun erzählen, dort in dem Café, das beide so gern hatten.

„Wir ziehen um. Wir haben am Samstag unterschrieben.“
„Ehrlich? Glückwunsch! Es hat also doch noch geklappt! Hat die Geduld sich also ausgezahlt. Und hast du das neue Bett schon bestellt? Oder zumindest ein bequemeres Sofa für dich?“
„Nein, es gibt wieder ein Bett. Und einen Garten wird es auch geben, gar nicht so klein ist der.“
„Ehrlich? Wo habt ihr das denn gefunden?“
„Jaa, das ist ein wenig das Problem. Es geht in die Südstadt. Wir wollten ja unbedingt hier bleiben, aber wir haben nichts gefunden. Fiel uns nicht leicht die Entscheidung, aber Kati wollte nicht mehr, und die Wohnung ist echt schön, echt die beste, die wir gesehen haben.“
„Ja, natürlich wolltet ihr hierbleiben. Und ehrlich, der Ausländeranteil ist dort ganz schön hoch.“

Sie plauderten weiter, nicht bei Torstens Bemerkung innhaltend. Erst Zuhause ärgerte sich Joachim über Torstens Satz, den Torsten längst vergessen hatte. Und dieser Satz war ja auch gar nicht bemerkenswert, rutschte er doch Torsten heraus, der ja grün-links war, der tolerant war, der für sein Medienunternehmen oft im Ausland unterwegs war. Der doch nur sein Viertel mochte, so wie es war, ordentlich und voller toleranter, grün-linker Torstens.