Freitag, 25. April 2014

Über Judith Holofernes


Ich war auf einem Konzert. Erst meine endlosen PeterLicht-Loblieder, nun ein Holofernes-Konzert, dabei verstehe ich doch nichts davon, von Musik nicht, von Pop, von Konzerten nicht. Es geht mir mit einem Konzert wie mit Kino. Ich besuche das so selten, dass ich sowieso beeindruckt bin – echt, so groß sind die Leinwände! Wie, der Hubschrauber flog ja hinter mir! Ich bin der dankbare Teil des Publikums.

Das Konzert war also großartig! Überraschend fand ich, wie durchgeplant, wie genau arrangiert jeder Song war. Das wirkte bei den „Helden“, meiner Meinung nach, ganz anders. Damals. Was für ein großes erstes Album. Damals. Diese massive Ironie, die schon der Bandname ankündigte, und dann der erste Hit „Guten Tag, Guten Tag, ich will mein Leben zurück!“ Dieser Schlag von schräg halblinks saß. Nochmal berlinerisch zitiert von „Icke & Er“ in ihrer „Exit Strategie“. Sobald „Icke & Er“ es sangen, fiel das leicht verkrampfte von Judith Holofernes in diesem Lied auf, es kommt noch zu genervt, zwar tanzbar und flott, aber mit diesem leicht nöligen Unterton.

Nun also keine Helden mehr, sondern Judith Holofernes allein, ihr angetrauter Schlagzeuger stand im Publikum. Allerdings eine großartige Band, soweit ich das beurteilen kann, die Holofernes da begleitete, aber ich staunte ja nur, das gebe ich wieder zu bedenken, da in diesem riesigen Raum, mit, Wahnsinn!, so vielen Menschen, die alle nur Frau Holofernes hören wollten.

Vor allem ein Lied von Judith Holofernes hat im Vorfeld Aufmerksamkeit erregt, auch wenn es live nicht das stärkste Stück war, „Liebe Teil 2, jetzt erst recht“. 


Seit dieses Liedlein veröffentlicht ist, stehen angeblich in Berlin weinende Mamas dutzendweis um Judith Holofernes, sobald sie sich unter Menschen zeigt und unter diesen Menschen Mamas zugegen sind. Darüber kann man staunen! Es geht eben um der Liebe zweiten Teil, wenn Alltag und Kinder da sind – sofern sich diese beiden nicht gerade ausschließen. Das ist ein mieses Thema für ein Lied, das ist so ein Thema für die erfolgreiche Mittelklasse-Schriftstellerin, aber für ein Lied durchaus riskant. Das kann in jede Richtung übel abstürzen: Nörgelei, Kitsch, Bitterkeit. Aber es stürzt nicht, es trägt – mitten durch den Kitsch hindurch:

„Du fragst: wie hast du geschlafen
ich sag: weniger als du
Du sagst: weniger als gar nicht
aber ich hab schon die Augen zu“

Auf das Minimum reduziert und trotzdem nicht ins Beliebige und Allgemeine abgleitend, die Verse sitzen.

Die Frage des Blogs muss natürlich kommen, bevor es zu kuschelig wird: Ist das spießig geworden? Es ist älter geworden. Mit den „Helden“ konnte man noch einen Traum von jugendlicher Abgrenzung träumen. Wer in der Liebe zweiten Teil angelangt ist, der hat wohl ziemlich viel Jugendlichkeit hinter sich. Und da hilft es eben nicht, 2014 auf ein „Black Sabbath“-Konzert zu gehen. Ganz sicher nicht. Der alternde Rock, der alternde Punk, der gelebte Widerspruch. Der Traum von ewiger Jugend hängt gut sichtbar aus Mick Jaggers Mund heraus.

Aber was hat dieses Älterwerden überhaupt mit Spießigkeit zu tun? Der Zusammenhang ist zunächst ganz einfach: Um in festgefahrene Bahnen zu kommen, brauchen die meisten Menschen etwas Lebenszeit. Jugendlichkeit und Spießigkeit schließen sich fast aus, weil das jugendliche Leben oft noch ein Entwurf ist, das widerspricht der „Engherzigkeit“, den beschränkten Horizonten. Der Bau des geistigen Jägerzauns, er braucht Zeit.

Nun, Judith Holofernes ist älter geworden, nicht als einzige. Von Spießigkeit keine Spur, das Lied über die Liebe, nochmal, es hat keinen nostalgischen Zug, es nörgelt auch gar nicht, und es ist dennoch nicht „angekommen“, nicht lebensweise, ein „trotzdem“ wird aus der Jungendlichkeit mitgenommen. Wie sollte ich anders darüber schreiben? Vom Konzert noch zu begeistert, wie die da spielten! Und wie sie sang, so wunderbar heiser, wie live sich das anfühlte. Spießigkeit ausgeschlossen.

Samstag, 19. April 2014

Der Osterhase, dieser Spießbürger


Ich erinnere mich dunkel, es gab mal ein Gerichtsurteil - wenn ich es recht erinnere, war es in Australien - das verbot den Erzieherinnen und Erziehern eines Kindergartens, die Kinder darüber aufzuklären, dass es den Weihnachtsmann nicht gebe. Also, vielleicht bewege ich mich jetzt in einer rechtlichen Grauzone: aber der ist fiktiv. Die Geschenke, wenn es sie denn gibt, kauft der nicht selbst ein, so viel Geld hat der nicht, so viel verdient der gar nicht. Und jetzt soll dieser Osterhase kommen, nicht ganz so populär geworden, lässt er auch immer nur lumpige Schokoladeneier springen – ebenfalls fiktiv. Nicht verboten, aber zumindest verpönt ist es, den Kindern zu sagen, dass der Hasenbraten oder das Lämmchen wirklich ein Hase oder ein Lämmchen ist. Von der Ostereierfabrik in den Topf? Diesen Bruch kann keine Geschichte kitten.

Nichts gegen Mythen. Wenn es donnert, spielen die Engel Fußball, besser kann man es einem Dreijährigen wahrscheinlich kaum erklären. Und genauer habe ich es selbst nie verstanden. Ach, und wer zu einem Atomkraftwerk sagt, das sei eine Wolkenfabrik – meinetwegen, sehr gerne.

Irritierend ist es, dass immer just zu den großen kapitalistischen Familienfesten die Kirchen auftreten, und diese für sich reklamieren wollen. Dabei ist nicht jeder mit einem langen weißen Bart der Gott. – Oder alles andersherum?

Diese Durchkapitalisierung der Feste ließe sich mit Kierkegaard ebenso als Verspießerung verstehen. Das ‚Ideale‘ fällt weg, eine höher tragende Idee; es bleibt das durch und durch Wahrscheinliche. Das ‚Ideal‘ mag ich kaum schreiben, merke ich, da ich es gerade schreibe. Das hat einen schlechten Ruf: der Idealist, der Träumer, der Spinner. Anpacker werden gebraucht und nicht Idealisten, die in alten Höhlen ihre Traumgespinste allzu ernst nehmen. Diese Differenz allerdings, zwischen dem Tatmenschen und dem Träumer gibt es an der Stelle bei Kierkegaard nicht. Wer sich mit dem Idealen einlässt, der kann das bei Kierkegaard nur angemessen mit Leidenschaft, zupackend.

Psychologen, so habe ich hier gelesen, erlauben es den Eltern jedenfalls, die Geschichten vom Osterhasen zu erzählen. Das rege die Phantasie an. Phantasie ist gut. Da freut sich der alte Kierkegaard mit. Der Glaube an den freundlichen Hasen verschwinde ganz von allein, wenn die Kinder älter werden. Ach so, ja, die Phantasie für die Kinder, die Vernunft für uns Große. Als sei der Sinn der Phantasie, dass sie irgendwann entzaubert werden kann. Der Osterhase ist der Johannes des Spießbürgers.

Das großartige Fries kann sogar die Phantasie von Erwachsenen anregen. Hasen haben einen Jäger erlegt. Was machen diese Hasen auf dem Kaiserdom von Königslutter? (Bild von AxelHH, auf Wikimedia.)
 
Das war nun nicht ganz schlüssig argumentiert von mir, zugegeben. Allerdings ist da so eine Logik versteckt, die mir nicht behagt: Zum einen, Phantasie werde angeregt, wenn man Unwahrheiten erzählt. Und daraus folgt, wer die „Wahrheit“ kennt, hat die Phantasie nicht mehr nötig. Das könnte letztlich stimmen. Jedoch: Der Sinn von guten Mythen ist es, das Unerklärliche zu handhaben. Die größten Rätsel, selbst für Kinder, laufen aber nicht auf die Frage hinaus, wie kommen die Geschenke zwischen die Tulpen.

Samstag, 12. April 2014

"Ihr Spießer." Eine Szene


Wieder eine kurze Beispielgeschichte, und wieder möchte ich betonen, dass weder ich in der Geschichte vorkomme, noch Menschen, die ich kenne. Meine Beispielgeschichten sind fiktiv. Wären sie das nicht, könnte man auf die Idee kommen, da rechnet jemand mit den Spießbürgern ab. An verschiedenen Stellen hatte ich betont, dass das zu einfach wäre. Wer „Spießer“ sagt – in seinem alten, hier diskutierten Sinn –, der setzt jemanden herab, der behauptet Überlegenheit. Von einer eigenen Überlegenheit weiß ich jedenfalls nichts. Welche Überlegenheit meint denn jemand, der „Spießer“ sagt? In der Romantik wohl vor allem eine ästhetische, bei Kierkegaard eher eine des psychischen Vermögens, im 20. Jahrhundert dann vielleicht vor allem eine weltanschauliche. Nun also ein Beispiel, ob es etwas klärt, sei dahingestellt.

Dario und Ludger saßen am kleinen Stauteich in der Vorstadt. Obwohl die Bank, auf der sie saßen, nur hundert Schritte von einem Parkplatz samt Café, Toilettenanlage und Altkleidersammelstelle entfernt war, kam kaum jemand vorüber. Ab und an ein Jogger, sie hörten das Schnauben hinter ihren Rücken.

Dario füllte die kleine Glaspfeife, steckte sie an und gab sie, nach einem kurzen Zug, an Ludger weiter. Der zögerte. Dario sagte: „Keine Sorge, die ist gut, echter Albuquerque-Scheiß.“ Ludger lachte. „Kann ich denn nachher bei dir duschen? Bevor ich nach Hause gehe? Meine Mutter riecht das.“
„Klar, yo!“
Ludger lachte wieder: „Verdammt, du hast einmal gezogen und sagst, klar, yo?!“
Dario: „Warum denn eigentlich? Ich dachte, deine Eltern sind nicht so spießig?“
Ludger zog jetzt an der Pfeife und sagte dann: „Sind die auch nicht. Total verständnisvoll. Der probiert sich aus, der Junge. Wir machen uns nur ein bisschen Sorgen, müssen das genau im Auge behalten. Aber total verständnisvoll. Es gibt überhaupt nichts Schlimmeres.“
Dario sah seinen Freund kurz an: „Oh doch, das gibt es. Glaube ich.“

Jemand näherte sich den beiden Freunden von hinten. „So, die Herren, die Party ist beendet.“ Ludger und Dario sahen sich um, ein Polizist stand hinter der Parkbank und blickte erwartungsvoll nach unten auf die beiden. Ludger brach der Schweiß aus, Dario sagte: „Ach, Herr Wachtmeister Dimpfelmoser, Hotzenplotz ist da hinten, bei der Großmutter.“
Der Polizist veränderte seine Haltung nicht: „Also, Pfeife her, Ausweise zeigen, einmal mitkommen zum Wagen.“
Ludger wollte schon aufstehen, Dario sagte: „Verdammt. Warum müssen die immer Spießer in Uniform stecken?“
Der Polizist beugte sich nach vorne und stütze sich nun mit beiden Händen auf der Lehne der Parkbank auf: „Nein, nein, spießig nicht.“
Ludger antwortete: „Sogar meine Eltern sind verständnisvoller.“
Der Polizist: „Aber mit spießig hat das nichts zu tun. Und mitkommen müsst ihr trotzdem!“
Dario, der lauter wurde: „Wir haben dieses Pfeifendings hier herumliegen sehen, diskutierten gerade, ob wir es in den Müll werfen oder direkt zur Polizeiwache bringen. Klingt das vernünftig?“
„Lächerlich klingt das“, sagte der Polizist, „und mitkommen jetzt.“
„Ein Spießer, echt“, sagte Dario, „in einer halben Stunde bei mir. Da kannst du duschen.“ Ludger und Dario rannten los. „Ach, verdammt!“ schimpfte der Polizist.

Freitag, 4. April 2014

PeterLicht und die Spießigkeit (3)


Nochmal PeterLicht. Richtig, seine Finanzierung ist noch nicht abgeschlossen. Und ich will wenigstens einen Sprung in die neueren Alben machen. Da gibt es diese Zeilen auf dem Album Melancholie und Gesellschaft: „bitte nie mehr Sexualität zeigen, bitte nie mehr und nirgendwo, in Zusammenhang mit euren Produkten, bitte nie mehr Haut und nie mehr Po […]“
Ist das Spießermoral? Will da jemand seine eigenen Moral-Vorstellungen einer breiten Masse aufdrücken. Soll daraus am Ende eine Anti-Model-Petition werden? Empörung, Engstirnigkeit, Korrektheit.

So einfach ist das wiederum nicht. Es geht ums Marketing, ein Lieblingsthema von PeterLicht, vor allem auf Melancholie und Gesellschaft ist das zu spüren: „raus auf die Straßen, die noch blau sind; das Marketing hat noch nicht begonnen für diesen Tag.“ Bevor das Marketing beginnt, ist die Welt unschuldig. Das Marketing hat die Sexualität schuldig gemacht, ließe sich also für das erste Lied analog formulieren. Nichts gegen nackte Körper, aber sie sollen ja nur etwas verkaufen. Nicht die Waren bekommen einen sexuellen Anstrich, sondern die Sexualität ist verdorben, weil sie vom Marketing bestimmt wird.

Das ist, merke ich, da ich diese Zeilen schreibe, wohl nicht ganz neu. „Sex sells“ und wie die Werbung unsere Vorstellungen von Schönheit und Körpern etc. verändert hat: Das klingt selbst in den Ohren eines Wissenschaftlers nicht mehr originell und innovativ. Den Antrag für den Sonderforschungsbereich wird er sich sparen können. Das Vergnügliche an dem Lied ist, neben dem ‚heiteren’ Vortrag, diese einfache Formel, auf die alles gebracht wird: Nie wieder Sexualität zeigen! Und es ist ja gar keine Empörung, da wird höflich gebeten, das ist durchaus verständnisvoll, aber bitte, liebe Sockenschaffende, zeigt keine Sexualität mehr. Da fehlt offenbar alle Ernsthaftigkeit, das löst sich fast, aber nur fast, in Ironie auf. Und dann das Adorno-Späßchen: Es gibt keinen wahren Po im falschen. Kein wahres Leben im falschen; keine wahre Sexualität in der marketingförmig gemachten Welt.

(Und ich mache hier Werbung für PeterLichts Live-Album? Mache meinen Blog marketingförmig – ich sollte vielleicht noch ein paar nackte Körper zeigen –, damit ich auf das Album hinweisen kann, zwar unbezahlt und unbestellt, aber werbend, täusche vor, mir ginge es um Kunst und die Spießerfalle?)

Die Ironie geht auch direkter bei PeterLicht:

„Wer gut aussieht, ist besser als jemand, der nicht so gut aussieht,
der aber immer noch besser ist als jemand, der überhaupt nicht aussieht
und eigentlich ja schon tot ist.
Da kann man nix machen!“

Die Stoßrichtung in dieser Strophe von „Wettentspannen“ von dem Album Lieder vom Ende des Kapitalismus ist leichter zu erfassen. Schönheit ist ein hoher Wert der Gesellschaft, was in dem Lied in „besser sein“ übersetzt wird. Die Schöne ist besser als die nicht so Schöne. Das ist halt so. Hier Sarkasmus, aber wieder keine Petitionen. Heidi Klum darf bleiben.

Darin, um auf die Ausgangsfrage nach der Spießerfalle zurück zu kommen, liegt vielleicht ein Geheimnis der So-gar-nicht-Spießigkeit: Da wird nichts aufgedrückt, nicht beschwert, nicht gemeckert. Das vorerst letzte Album heißt Das Ende der Beschwerde. Und aus dem entsprechenden Lied:

„Du blickst in die Herde und wartest auf das Ende der Beschwerde
Und denkst dir, Gesellschaft ist toll, wenn nur all die Leute nicht wärn.
Du, du, du, du, du und dein Leben
Du, du, du, du, du, Ihr beide müsst, dein Leben ändern.“

Das ist resignativ. Die Beschwerden gehen weiter, die Leute nerven; also das eigene Leben ändern, ja, würde ich vielleicht, lieber Herr Rilke, „wenn ich nur wüsste, welches Leben ich ändern müsste und welches besser nicht.“