Donnerstag, 22. Mai 2014

Träumereien und Realitätssinn: Über Paulo Coelho


Nun habe ich den Traum vom Topmodeldasein mitgeträumt, den Traum einer Professur oder den Traum eines erfolgreichen Bloggers. Bei so vielen Träumereien könnte man ja gleich bei Paulo Coelho weiterlesen, oder nicht?

Coelho, dieser Erfolgsautor, der keine Gelegenheit auslässt, sich zu echauffieren, dass Erfolgsautoren nicht so richtig anerkannt seien, weil immer wer daherkomme und behaupte, das sei nun zu platt gewesen. Allein der Erfolg mache sie verdächtig. Dabei sei er, das darf man wohl folgern, nicht bloß unfassbar erfolgreich, sondern auch unfassbar toll. Hört man da Häme aus meinen Worten? Das kann dann ja bloß Neid sein. Denn natürlich würde ich meine hundert treuen Blog-Leser gegen Coelhos Weltpublikum eintauschen – das ist dem Erfolgsverwöhnten ganz selbstverständlich.

Coelho, der seine Träume erfüllt hat und nun diese Erfolgsträume unter die Menschen streut, wie ein Blumenkind. Was soll ich sagen? Kaum ein Buch ist mir mehr zuwider als „Der Alchimist“. Es gibt sicherlich Bücher, die mir mehr zuwider wären, hätte ich sie gelesen, aber unter den von mir gelesenen Büchern nimmt der Alchimist eine besondere Position unter den Widerwärtigkeiten ein. Es ist verlogen!

Roger Willemsen fragte einmal Madonna, was denn ihre Botschaft für die Menschen sei. Sie habe gesagt, die sexuelle Befreiung. Er fragte zurück, ob sie auch eine Botschaft für die Impotenten habe. – Das Interview lief dann nicht so gut weiter, aber es war ja alles Wesentliche gesagt.

Genau das ist mein Problem mit Coelho. Es würde die Phantasie Kierkegaards in den banalsten Kehricht herunterziehen, wenn man DAS daraus lesen würde: Träume – und du wirst dein Glück finden! Und greif zu, wenn der Traum sich erfüllen will! Dann verschlaf das nicht! Was dürfen wir bei Coelho lesen? Das ganze Universum helfe kräftig mit, um meine Träume zu erfüllen, ich muss mir das nur richtig wünschen. Nun sollte man vielleicht über seinen Jägerzaun hinaus Träume haben, aber dann nicht im erstbesten esoterischen Quark steckenbleiben. Kierkegaards Phantasie weiß, dass sie unerfüllt bleiben kann, wie überhaupt ein Hang zu Realitätsferne nicht Sinn und Zweck dieser Phantasie ist.

Warum rege ich mich eigentlich auf? Wäre es nicht umso verlogener von Coelho, wenn er über scheiternde Menschen schreiben würde? Wer soll ihm das abnehmen? Ihm, der den Erfolg in allen Farben und Formen, von allen Seiten, von vorne wie hinten, kennengelernt hat?

Es ist auch die Ratgeberei, die mich anwidert. Ausgerechnet von einem so überaus erfolgreichen Menschen will ich keine Ratschläge hören. Lieber die Scheiternden! Nietzsche, Kafka, Jesus Christus: Eure Lebensratschläge höre ich gerne!

„Der wahre Weg geht über ein Seil, das nicht in der Höhe gespannt ist, sondern knapp über dem Boden. Es scheint mehr bestimmt stolpern zu machen, als begangen zu werden.“ (Franz Kafka)

Freitag, 9. Mai 2014

Germanys Next Topmodel


Über Germanys Next Topmodel wird sehr viel dummes Zeug geschrieben. Gestern war das Finale, ein hübsches Mädchen namens Stefanie hat gewonnen. Da wird auf der Berliner Morgenpost behauptet, man könne den Namen gleich wieder vergessen. Die verschwinde sowieso wieder von der Bildfläche und die Zweit- und Drittplatzierte hätte man bis zum Ende kaum auseinanderhalten können.

Sapperlot, da leidet aber jemand unter einem schlechten Gedächtnis für Namen. Und ein genauer journalistischer Blick ist auch etwas anderes. Da braucht man keine ganze Staffel, da reicht ein Hingucken – und ja, man kann die Beiden auseinanderhalten. Ich kopiere mal zwei Bilder hier ein. (Oh weh, das sollte rechtlich ein Bildzitat sein, um eine Aussage zu belegen, außerdem zeitnahes Ereignis und was weiß ich was noch, was man halt so in drei Minuten an rechtlichen Aussagen zu Bildrechten zusammenbekommt.)

Jolina, Quelle: Pro7
 Ivana, Quelle: Pro7

Aber was unterstellt Frau Hildebrandt denn damit, dass man den Namen dieser Stefanie gleich wieder vergessen könne. Ja, trivialerweise hat sie Recht: Ich kann den vergessen. Ich kenne aber überhaupt kaum zehn Namen von irgendwelchen Models – und bei einigen bin ich mir wahrlich nicht sicher, ob die noch auf einem Laufsteg zu finden sind. (Twiggy, modelst Du eigentlich noch oder habe ich Dich nur mal auf einem alten Foto gesehen?) Ich habe de facto fast alle Namen von Models, ob erfolgreich oder nicht, wieder vergessen. Wenn der Satz aber heißen soll, dass man den Namen wieder vergessen kann, weil aus der eh nichts wird, dann ist das wiederum dummes Zeug. Woher weiß Frau Hildebrandt das? Google ist schon toll: Man kann da herausbekommen, dass gar nicht wenige der ehemaligen Kandidatinnen von Germanys Next Topmodel tatsächlich modeln. Hätten Sie es gewusst, Frau Hildebrandt?

Der Sendung kann man vieles vorwerfen, aber die Erfolge sind gar nicht schlecht. Andere Casting-Shows schneiden schlechter ab. Natürlich auf die Menge der Bewerberinnen gerechnet, ist der Erfolg am Ende als Model sein Leben bestreiten zu können, höchst unwahrscheinlich. Das ist aber, sagen wir mal, in den Geisteswissenschaften nicht anders. Wie viele Bewerbungen auf eine kleine Stelle im wissenschaftlichen Mittelbau einer geschichtswissenschaftlichen Fakultät! Da wird schamlos mit den Träumen junger Wissenschaftler gespielt, die tatsächlich glauben, am Ende wären Sie der nächste Top-Professor. Wenn Sie irgendwo eine Dissertation herumliegen sehen, vergessen Sie den Namen des Verfassers!

Die Proteste, die die Finalsendung begleiteten, stellten etwas zu langweilig vielleicht das verkorkste Schönheitsideal in den Mittelpunkt, das die Show in die Köpfe aller Mädchen hämmere. Und zugleich diese wahnwitzige Botschaft, jede könne das schaffen, wenn sie hart an sich arbeite – nun ja, da sollten sich die Kritiker mal einigen, ob die Sendung transportiere, jede könne es schaffen oder überhaupt keine. Das ist jedoch gar nicht mein Thema. Es geht mir um die Träume. Man darf das niemanden übelnehmen, der Traum Model zu werden, erscheint greifbar. Warum nicht das träumen? Oder von einer Professur? Und für manche wird der Traum ja wahr. Und diesen Traum würde ich unbedingt verteidigen, da ist sie wieder die Phantasie Kierkegaards, die das Unwahrscheinliche fordert!

Aber das System nutzt nun all die aus, die auf der Strecke scheitern. Dass mit den Träumen gespielt wird, ließe sich ebenfalls etwas zu langweilig sagen. Was heißt das? Die Träume werden eine Zeit lang – eine halbe Staffel oder zwei Semester – extrem befeuert, am Leben gehalten und dann zum Platzen gebracht. Und vom zerplatzten Traum lebt Pro7, nicht von der Gewinnerin, Stefanie war ihr Name übrigens.

Frau Hildebrandt findet schließlich noch einen anderen Aufreger: Es geht doch nur um Marketing und PR bei diesem ganzen Sendeformat. Modeln und Marketing, also bitte, was soll das denn jetzt? Da zitiere ich Wolfgang Joop: „Du läufst, als hättest du ein Holzbein, das du aber nicht dabei hast.“

Freitag, 2. Mai 2014

Der Spießbürger als Drogenbaron


Der aufmerksame Leser und die fernsehserienaffine Leserin werden es sich gleich gedacht haben: Ich schaue derzeit die US-Fernsehserie „Breaking Bad“. Es geht um einen Chemielehrer in der Südstaaten-Provinz-Metropole Albuquerque, der an Lungenkrebs erkrankt. Da seine kleine Lehrerstelle finanziell kaum ausreicht, und er seiner Familie gern etwas Geld hinterlassen würde, denn seine Prognose ist schlecht, beginnt er, die Designer-Droge Crystal Meth herzustellen. Das ist doch mal ein guter Grund. Eine solche kriminelle Karriere ohne vermurkste Kindheit – dass das im Fernsehen möglich ist!

Nun lässt sich die Geschichte aus Sicht dieses Blogs teilweise als Ausgang aus der Spießigkeit nacherzählen. Der Lehrer, Dr. White, ist ein Spießer. Sein ehemaliger Schüler, dann Kompagnon, Jesse Pinkman, bezeichnet ihn – in der deutschen Übersetzung – auch als solchen. Mit dem Arbeitseintritt als Drogenspezialist endet diese Spießigkeit. Zwar nimmt er die Droge selbst gar nicht, aber sein Leben wird teilweise rauschhaft, ungezähmt, unberechenbar – ja, und auch verlogen, brutal, unmoralisch.

Offenbar, sobald man sich für eine Karriere als Drogenbaron entscheidet, ist es aus mit der Spießigkeit. Aber der Ausgang aus der Spießigkeit ist der Eingang in die Kriminalität. Der Umkehrschluss wäre allerdings falsch: Spießigkeit schützt vor Kriminalität nicht, nur vor manchen kriminellen Taten, wie zum Beispiel Drogenverkauf im großen Stil. Das, so zeigt die Serie, verträgt sich schlecht mit dem spießigen Lebenswandel.

So manches ist in der Serie überzeichnet. Nun, seine Frau ist schwanger, der Sohn hat eine Behinderung, dann die eigene Krebsdiagnose: Es kommt alles zusammen. Da das Geld knapp ist, wäscht Walter White zunächst nebenbei Autos, wo er den Wagen eines Schülers putzen soll, das ist dem ein Handyfoto wert. Fast wäre er allerdings Topverdiener geworden, ein ehemaliger Studienkollege hat die Forschungsergebnisse von White für eine eigene Firma übernommen. So wirkt der Fall noch tiefer, denn er hat den finanziellen Erfolg von Ferne gesehen. Dass nun auch noch sein Schwager bei der Drogenfahndung arbeitet, das ist nicht zufällig, sondern bringt White überhaupt erst auf die Idee – trotzdem: da kommt viel dramaturgischer Stoff zusammen. Das reicht dann – sogar bei hohem Tempo – für eine Serie.

In der Serie ist manches überzeichnet, dennoch sind die psychischen Vorgänge der Hauptpersonen interessant. Walter White legt seine Spießigkeit ab, als er versteht, dass er möglicherweise nicht mehr lange zu leben hat. Dass er nichts zu verlieren hat, wäre falsch. Er hat keine Wahl – das wäre ganz falsch. Plötzlich will er Entscheidungen treffen, wogegen vorher alles in festen Bahnen verlief. Nun will er entscheiden, wie er mit der Diagnose umgeht, er entscheidet sich für eine kriminelle Laufbahn usw. Er nimmt zu diesem Zeitpunkt die Risiken in Kauf. Sobald er unter diesen Druck gerät, will er etwas in die Hand nehmen, will er handeln. Auf dem Grund dieses Handelns ist wieder die kierkegaardsche Phantasie zu sehen.

Drogen sind sehr böse und Krebs tut dem Menschen wahrlich auch nichts Gutes. Und lieber bis zum Ende Spießbürger bleiben und nicht zum Serienheld werden, als einen Doktor der Chemie zu fragen, wie man eine Leiche loswird. Damit sollte allen möglichen Missverständnissen vorgebeugt sein.