Samstag, 12. Juli 2014

Schwarz, Rot, Gold im Urlaub


Als kleiner Junge habe ich mich gewundert: Wieso heißt diese Farbe „Gold“, wenn es „Gelb“ ist. Gold ist anders, ich kannte Schokoladentaler, die waren golden. Die Fahnen waren gelb, ohne Ausnahme. Wäre Hans-Ulrich Wehler mein Vater gewesen, hätte er mir sicher erläutert, dass die Fahne untenherum zwar fälschlich ziemlich gelb aussieht, so aber keinesfalls bezeichnet werden dürfte. Das Goldene als schmutziges Gelb zu verunglimpfen, das hatte Goebbels getan. Nun ist zwar überall Tiefschwarz, Verkehrsrot und Rapsgelb zu sehen, aber die Fahne heißt Schwarz-Rot-Gold. Für manchen sowieso ein zweifelhaftes Vergnügen diesen Farben nun überall zu begegnen.

Nicht auf dem Weg zu einem Fußballspiel: Germania; Quelle: Wikimedia.

Allzu viele Fahnen waren es in meiner Kindheit noch nicht, die mir im Alltag begegneten. Wo waren Fahnen? Jemand im Dorf hatte aus lauter patriotischen Urlaubsgefühlen eine schwedische Fahne aufgestellt. Deutschlandfahnen sah ich, wenn wir eine Schrebergartenkolonie besuchten, wo Verwandte einen Garten besaßen. Dort gehörte sie hin. Schrebergarten mit Zwerg, akkurat gemähter Rasen mit Fahne. Das sind zugegeben behagliche Erinnerungen an die Kleinkindheit. 

Ansonsten sah ich Deutschlandfahnen oder Fähnchen und Wimpel auf Campingplätzen, wenn ich mich recht erinnere. Camping mit Wohnwagen, das war der Urlaub für den Kleinbürger. Jedenfalls besaß es diesen Ruf: Wohnwagen auf Campingplatz dort abstellen, wo deutsch gesprochen wird, Fähnchen raus, Sichtschutz aufstellen, künstlicher Rollrasen vor den Eingang, Blumentöpfe aufhängen, Bild-Zeitung vom Kiosk holen, ein mürrisches „Moin“ oder „Tschau“ je nach dem. Klischees natürlich.

Mittlerweile vermittelt Camping – daneben – längst ein anderes Bild: Unabhängigkeit, Einfachheit, Langsamkeit, „echter“ Urlaub, „echtes“ Reisen. Urlaub ist eine merkwürdige Zeit. Ist der Urlaub ein geistiger Ausnahmezustand und deshalb etwas „ganz Anderes“? Was sonst spießig und verschroben wäre, gilt im Urlaub also nicht. Oder richtet man sich im Urlaub gerade so ein, wie man es immer täte, wenn man könnte? Da verliert der Urlaub seine Unschuld. Der Manager im Kloster wird von einer Auszeit sprechen. Aber richtet sich der Manager dort nach den Prinzipien eines geistlichen Lebens oder richtet sich das Kloster eher nach den Prinzipien des Kapitalismus, wenn der ausgebrannte Kapitalist wieder „fit gemacht“ wird?

Nun also Urlaubszeit und Fußballzeit. Ich werde Fahnen schwenken (deutsche) und Urlaub machen. Hier im Blog ist bis Anfang August eine Pause. Ich wünsche meinen Leserinnen und Lesern einen schönen Sommer!

Donnerstag, 3. Juli 2014

Weiterhin eingeschlossen: Ein Nachtrag zu Ernst Nowak


Ernst Nowaks kleiner Roman, den ich in der letzten Woche kurz vorgestellt habe, ist weithin unbekannt. Zwar gab es eine Taschenbuchausgabe bei dtv, aber sie lief vermutlich nicht allzu gut. Eine zweite Auflage gab es wohl nicht. Und mittlerweile sind Exemplare antiquarisch für einen Cent zu haben. Ein Sammlerstück, das steht fest, ist das Buch also nicht geworden. Bei Amazon gibt es keine einzige Kundenbewertung. Und es gibt, soweit ich gesehen habe, nicht eine einzige Dissertation zum Text.

Das hätte anders kommen können. Dem Buch fehlt nicht viel, und es hätte eine eifrige Lehrerschaft zur Schullektüre machen können – die Sexualität, die Nowak vielleicht etwas zu direkt beschreibt, könnte das verhindert haben. Oder jemand hätte auf die Idee kommen können, das Buch im Zuge der literarischen Kafka-Nachfahren ins Gespräch zu bringen. Natürlich, über die Qualität des Romans ließe sich streiten – tut aber niemand. Als einziger Kritiker weit und breit behaupte ich nun, der Roman ist gut.

Es geht um Macht: Macht und Ordnung, Macht und Sex, Macht und Freiheit, Macht und ihre Begründung. Vielleicht erging es Nowak mit diesem Thema ähnlich wie heute meinem „Spießer“. Das fiel damals, 1975, schon aus der Zeit. War ja schon eine freie Gesellschaft damals. Macht und Freiheit – längst geklärt 1968. Und heute, seit an Universitäten Gleichstellungsbeauftragte regieren, (siehe dazu der aktuelle Martenstein in der ZEIT) hat sich das mit Macht und Sexualität auch erledigt. Ja, kleine Korrekturmaßnahmen sollten hier und dort – punktuell, wie der Politiker sagt – vorgenommen werden, aber das Große und Ganze ist frei. Das bestätigt sogar der Bundespräsident. Nur hin und wieder ein militärischer Einsatz, damit das so bleibt, mit der Freiheit.

Der Roman von Ernst Nowak hat keine richtigen Charaktere, er stellt nur Typen vor. Den Aufpasser beispielsweise oder den Vorsitzenden. Es sind Hierarchien, die im Zentrum stehen. Der Ich-Erzähler, der ständig über alles und jeden nachdenkt, schreibt über die Aufpasser und Anschaffer:

„Wir sehen einen dieser Anschaffer und Aufpasser und denken sofort an seine Anmaßung. Wir sehen ihn, und es ist, als müßten wir das Gesicht verziehen wie vor einem angedrohten Hieb. Unser Verhältnis zu den Anschaffern und Aufpassern ist von Grund auf und unabänderlich schlecht, aber nicht darum, weil sie an uns Weisungen weitergeben, denen wir gehorchen, sondern weil sie eigentlich zu uns gehören.“

Die Aufpasser sind der Gruppe, zu der der Ich-Erzähler gehört, übergeordnet; Machtstrukturen. Doch sie sind zu nahe, als dass diese Macht akzeptiert werden könnte:

„Aber die Anschaffer und Aufpasser sind noch greifbar nahe. Sie sind noch unseresgleichen. Ein Anschaffer und Aufpasser bleibt einer von uns. Immer erinnert er uns daran, daß er aus unserem Kreis hinaus gewollt, uns, gleich wie, überholt und verlassen hat. […] Er ist ein Verräter. Sein Ehrgeiz ist keine Entschuldigung. Wer ein kleiner Herr werden will, um uns gegenüber zu stehen und uns anzuschaffen und auf uns aufzupassen, wird bald erkannt. Sein Wunsch ist bald zu erraten, denn bald ist er ihm vom Gesicht abzulesen. Wer sich verraten hat, der ist schon abgeschrieben. Rasch beginnen wir ihn zu hassen, ihm Widerstand entgegenzusetzen, ihn boshaft zu behindern."

Die Macht, die nicht anerkannt wird, ist hier problematisch geworden. Doch nicht die allzu große Macht wird für den Erzähler problematisch, sondern die Macht, die nicht vollkommen genug ist:

„Wir wissen ja, woher er kommt, wir kennen den Boden, aus dem er kommt (während die Herren der Unterkunftsleitung keinen sichtbaren Zusammenhang mehr mit dem Boden haben), und dieses Wissen wird für immer bleiben. Einer, den die Unterkunftsleitung als Anschaffer und Aufpasser anerkennt, ist, als Preis für seine Annäherung, so gut wie verurteilt. Er wird nur wieder freikommen, wenn er mit höchster Anstrengung und höchstem Einsatz den Abstand zu uns so rasch zu vergrößern mag, daß schließlich doch der Zusammenhang verloren geht.“

Wenn der Herrschende weit über dem Beherrschten steht, dann ist hier in der Unterkunft die Welt in Ordnung. Dort, wo die Macht sichtbar wird, das Machtspiel vor Augen tritt, dort beginnt der Hass.

Das hat sich alles ja längst erledigt mit dieser Macht. Das hatte sich schon 1975 erledigt, als Nowaks Roman erschien. Frei sind wir und nicht beherrscht. Als ginge es irgendwo um die Rechtfertigung von Macht, um die Rechtfertigung der Herrschenden. Wie anders unsere Welt, da sehe ich gerade, dass im ZDF „Deutschlands Beste“ läuft. Und Angela Merkel gewinnt, sie ist Deutschlands Beste. Das ZDF zeigt ein kleines Promotion-Video dazu, ist ja auch sympathisch die Frau, sieht man da gleich. Wir werden von der Besten regiert. Das ist vernünftig, hat mit Machtspielen deshalb gar nichts zu tun. Ausgeschlossen.

Oder Nowak lesen.

Quelle: Ernst Nowak: Die Unterkunft, Salzburg: Residenz Verlag 1975, S. 73ff.