Montag, 25. August 2014

Die schönsten Siedlungen in NRW


Muss doch nicht immer kritisch sein, das Fernsehprogramm. Lass uns mal zeigen, wie schön das hier ist in Nordrheinwestfalen. So schöne Siedlungen hier, echt. Muss doch auch möglich sein, mal ohne die ständige Kritikerbrille, ohne Genöle, ohne Genörgel. Nicht immer runterputzen, einfach gutfinden. „Machen wir doch ständig in den Öffentlich-Rechtlichen“, warf noch jemand ein, aber da war die Folge schon im Kasten. Ganz im Ernst: „Die beliebtesten Siedlungen in NRW“ lief im WDR.

Thomas Bug, der durch die Sendung führt, wundert sich selbst über das Thema, spricht vom Wunsch vieler Zuschauerinnen und Zuschauer endlich mal etwas zu den Siedlungen zu machen. Kenne ich auch, manchmal weiß ich nicht, warum denn jetzt ausgerechnet Wilhelm Busch? Und was wollte ich da schreiben? Ach egal, Text im Blog, funktioniert!

Aber ich tue der Sendung unrecht, so uninteressant ist das gar nicht. Eine Bunkersiedlung in Kevelaer. Davon hatte ich noch nie gehört. Gute Idee, spannendes Siedlungsprojekt. Und natürlich: Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet folgt auf Arbeitersiedlung im Ruhrgebiet. Ja, finde ich gut. Vor allem die Gartenstädte sind historisch sehr spannende Projekte – und sehen immer noch ansprechend aus! Stimmt, ist echt überall schön in NRW. Nordrheinwestfälischer Siedlungsbau ist eine ästhetische Erfolgsgeschichte!

Was man so ständig an Siedlungen durchfährt und wohin stolze Eigenheimbesitzer zu Gartenpartys einladen, sieht doch ganz anders aus?! In der Sendung tauchen keine klassischen Neubausiedlungen auf, überhaupt weniger Nachkriegsbau, als ich erwartet hatte. Sennestadt ist auf dem 15. Platz, vier Stimmen, wenn ich das richtig sehe, haben dafür gereicht. Dass Sennestadt mal ein, ja ja, klug durchdachtes Bauprojekt war, das hatte ich schon gehört. Aber muss man Sennestadt auf diese Weise würdigen? Ach ja, kritischer Journalismus war gestern und ist morgen dann wieder. Also gut, ein Hoch auf Sennestadt.

Die beliebteste Siedlung: Margarethenhöhe. An manchen Stellen, daran sei kritisch erinnert, sieht NRW anders aus. Foto von Denis Barthel auf Wikimedia.

Über die „Autofreie Siedlung Weißenburg“ in Münster komme ich allerdings nicht so leicht hinweg. Denn hier plant und siedelt er, der neue Spießer. Autofreie Siedlung klingt erstmal gut. Klingt nach Feriendorf und klingt nach Münster, wo Autos sowieso ständig in Gefahr sind, von einer Fahrradkolonne plattgewalzt zu werden. Und klingt nach dem Gegenteil der „autogerechten Stadt“, die ja oft – also für Menschen, nicht für Autos – ziemlich katastrophal ausfiel.

Autofreie Siedlung Weißenburg heißt aber nicht bloß, dass hier keine Autos fahren. Also wie eine autofreie Innenstadt. Das kennt man schon. Nein, hier ist das weiter gedacht, die Menschen, die hier leben, sollen nicht nur ohne Auto in ihre Siedlung fahren, sie sollen überhaupt kein Auto fahren. Dazu müssen sich die Bewohner der Siedlung verpflichten. 

Warum muss denn eine gute Idee – keine Autos vor den Haustüren – ideologisch so aufgeblasen werden, bis man die Welt in Gute und Sünder einteilen kann? In solchen Momenten bin ich froh, dass ich Auto fahre, und ich wünschte, ich wäre Raucher. Es war lange nicht mehr so einfach, sich wie James Dean zu fühlen. Einmal (im Schritttempo, um keine Kinder zu gefährden) um die Weißenburg-Siedlung fahren und hin und wieder aus dem Fenster aschen.

Samstag, 16. August 2014

Max, Moritz und der Spießbürger



Bester Laune und noch am Leben: Max und Moritz. 

Den Zeitpunkt habe ich verpasst. Die gefeierte Ausstellung über Wilhelm Busch und seine Bedeutung für die Entstehung des Comics ist längst vorüber. Die Ausstellung nahm das Jahr 1864 als Aufhänger, das Jahr in dem Wilhelm Busch „Max und Moritz“ zeichnete. Das ist 150 Jahre her, rund genug für eine Ausstellung. Den Zeitpunkt habe ich also verpasst. Hat irgendjemand behauptet, dass das Internet schnell ist? Es ist oft das allerlangsamste Medium. Wenn ein Titel gerade aus den Bestsellerlisten verschwunden ist, wird sich endlich auch irgendwo im Netz eine Kritik finden. Mit etwas Glück ist das Buch nicht vergriffen und der Verlag existiert noch.
 

Ja, und im April 1865 ist die Erstausgabe von „Max und Moritz“ erschienen, das wären also in einem Dreivierteljahr wieder runde 150 Jahre, die ich hier im Blog feiern könnte. Das dauert mir allerdings zu lange. So lange kann ich nicht warten. Wenn das im nächsten Jahr gefeiert werden sollte, bin ich längst da, hier im Internet. Denn dieses blitzschnelle Internet ist immer längst da, wenn die anderen Medien gerade erst ahnen, dass ein Thema heiß wird. Hat jemand etwas anderes behauptet? Thomas Mann hat einen neuen Roman herausgebracht, zack, weiß ich das per Twitter.

Max und Moritz also. Und nach dieser Einleitung sollte klar sein: Ich weiß selbst nicht genau, warum eigentlich. Irgendwie blieb mein Blick auf dem Buch haften und dann blieb mein Verstand bei den letzten Sätzen haften.


Perfekt dosierter Explosionsstoff: Lehrer Lämpel fliegt zwar vom Stuhl, aber es geschieht ihm nichts.

Nach all den frechen Streichen, vor allem an die erstklassige Pfeifenexplosion sei erinnert, bekommen die Jungs eine deftige Strafe. Sie werden geschrotet und von den Hühnern aufgepickt. Das ist überzogen, das kann man nicht gutheißen. Das Buch ist nur momentan einmal nicht auf dem Index, weil selbst empfindsame Pädagogen hin und wieder einsehen, dass zwischen Comic und Welt Unterschiede bestehen dürfen. Die Strafe ist ein Gag. Soweit würde keiner gehen, selbst wenn der Nachbarsmoritz Käfer unter der Bettdecke versteckt hätte. Nee, zu krass. Aber dann dieser Schluss der Geschichte:

Als man dies im Dorf erfuhr
War von Trauer keine Spur. —
— Wittwe Bolte, mild und weich,
Sprach: „Sieh da, ich dacht es gleich!“ —
— „Ja, ja, ja!“ rief Meister Böck —
„Bosheit ist kein Lebenszweck!“ —
— Drauf so sprach Herr Lehrer Lämpel:
„Dies ist wieder ein Exempel!“ —
— „Freilich!“ meint der Zuckerbäcker
„Warum ist der Mensch so lecker!“ —
— Selbst der gute Onkel Fritze
Sprach: „Das kommt von dumme Witze!“ —
— Doch der brave Bauersmann
Dachte: „Wat geiht meck dat an!“ —
— Kurz im ganzen Ort herum
Ging ein freudiges Gebrumm:
„Gott sei Dank! Nun ist's vorbei
Mit der Uebelthäterei!!“

Dieser Schluss ist ein Nackenschlag für den Spießbürger. Das comichafte Ende wird wieder in die (pointiert dargestellte) Lebenswirklichkeit geholt. Vollkommen gleichgültig wie – Hauptsache, die Ordnung ist wieder hergestellt.

Und das schon immer gewusst haben. Die Welt in die Bahnen der Wahrscheinlichkeit bringen. „Sieh da, ich dacht es gleich!“ Das ist dann das Gegenteil von Empathie: Schon wissen, genauer: schon gewusst haben, wie der Max enden wird. Und auch Moritz längst abgeschrieben haben.

Jetzt nehme ich das Büchlein viel zu ernst, das nur unterhalten will. Das etwas anderes ist als die Wirklichkeit. Und ich mache gerade den Fehler, den Lehrer Lämpel macht: Überall eine billige Moral herausziehen. So bringt der Spießbürger seine Welt in Ordnung. Die Jungs werden geschrotet, aber wir alle haben etwas gelernt. Aber was eigentlich? Lehrer Lämpel hat nur wieder ein Exempel, er hat das gelernt, was er längst wusste. Solche Streiche führen zu einem bösen Ende. Da ist seine Welt in Ordnung. – Und wieder muss ich hinzufügen: Ich habe auch nur gelernt, was ich schon wusste. Am Ende bekommen die Spießbürger vom Künstler eins drüber. Da ist dann meine Welt in Ordnung.

Donnerstag, 7. August 2014

Der muslimische Schützenkönig


Wie beruhigend. Mithat Gedik darf Schützenkönig von Werl-Sönnern bleiben. Und das als Muslim. Das lässt sich ja gleich doppelt feiern: Als Ideal-Integration des muslimischen Schützen-Bruders und vorbildliche Weltoffenheit der deutschen Schützenvereine. Für einen kurzen Moment war diese Feierlaune getrübt: Der ist gar nicht katholisch, sondern was anderes, und die Weltoffenheit der Schützenvereine musste erst im Nachgang großzügig etwas von oben herab bestätigt werden. Wir machen da eine Ausnahme. Na wunderbar. Deutschland ist Weltmeister und ein Muslim Schützenkönig in Werl – weiter aufwärts kanns für uns nicht gehen.

Ich muss gestehen: Die Kultur der Schützenvereine ist mir fremd. Diese Form der Spießigkeit liegt mir fern. Schießen, Saufen, Schulterklopfen. Oder wie es offiziell heißt: Glaube, Sitte, Heimat. Auch kein schlechter Dreiklang. Deniz Yücel ergänzt den Dreiklang ums Rumballern und betont – und da bin ich im Thema –, es werden immer neue Ansprüche formuliert. Die Integration ist dabei nicht mein Thema, sondern die Spießigkeit: Yücel sagt, da sollen die Einwanderer in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft mitspielen, und dann wird gefragt, warum sie die Hymne nicht mitsingen. Immer werden neue Ansprüche formuliert. Mithat Gedik kann seine Kinder katholisch taufen lassen, an der Schule katholische Religion belegen – und darf trotzdem nicht am großen „Bezirkskönigsschießen“ teilnehmen. So nach der Logik: Du bist vorbildlich integriert, aber dass Du nur integriert ist, wollen wir dabei nicht vergessen. Die Integration soll sichtbar bleiben. Integriert bleibt Integriert.

Das ist eine Logik der Spießigkeit. Klare Grenzen, wer oder was zu mir gehört und was eben nicht. Das Fremde ist mir fremd. Nun muss ja nicht jeder überall dazugehören. Im Fußballverein wird Fußball gespielt, und Handballer gehören nun mal nicht dazu. Der eine schießt lieber im Schützenverein, der andere beim Ego-Shooter, und bei Counterstrike kann man nicht zum Schützenkönig werden. – Es bleibt trotzdem ein Unbehagen.

Oder rührt das Unbehagen ganz woanders her? Warum, um alles in der Welt, wird ausgerechnet am Schützenkönig die Integration diskutiert? Was sagt das aus? Ach so, natürlich: Wenn sogar dort, bei dieser Provinzialität, im Herz des Konservatismus, im Bett der CDU, an der Brust des Spießbürgers ein Muslim nahezu vollständig einigermaßen akzeptiert wird, dann ist das wirklich die allerechteste Integration. Echter geht eben nicht. Ja, da wird’s mir unbehaglich. Das hieße dann, hier sei das Innere, das „echte Deutschsein“, die Integrationsabsolution, die nur im Schützenverein erteilt werden kann. Gruselig. Es geht beim Fall Gedik gar nicht um diese Art der Integration, als vielmehr um die Integration ins Dörfliche, ins Provinzielle – und auch ins Spießbürgerliche. Und ja, die ist, nach dem was man so sagen kann, wohl gelungen. Wenn das gleichbedeutend sein soll mit „der“ gelungenen Integration, was immer das sein soll, dann wird es mir unbehaglich. Aber hier verlässt der Spießbürgerlichkeitsversteher das Feld für den Integrationsbeauftragten.

Er zieht sich gedanklich noch einmal zurück in seinen Strandkorb, womit er sich in die Schar der deutschen See-Urlauber gut integrierte. Aber darf jemand mit so blasser Haut überhaupt einen Strandkorb mieten? Ja, das ist gerade ein Beispiel für gelungene Integration an der deutschen See. Zwar ist er weiß wie das Innere eines Schokokusses, dennoch darf er sich am Strand unter die seegebräunten Menschen mischen. Und auch er legte Vorbehalte ab: Der Strandkorb könnte spießig sein. Nein, praktisch ist er.