Freitag, 31. Oktober 2014

Echte Helden (1)


Es ist derzeit äußerst interessant, ARD-Beiträge über die Ukraine-Krise zu sehen. Es hagelte ja von allen Seiten Kritik an einer zu einseitigen Berichterstattung. Jetzt findet sich in jedem Beitrag mindestens eine kritische Stimme, am liebsten eine ukrainische, die der ukrainischen Regierung die Schuld am Konflikt gibt – und nicht Putin. So zum Beispiel im Weltspiegel am 26.10. Endlich ist der Quoten-Pro-Putin eingeführt. Da ist jetzt also alles in Ordnung, der Quoten-Pro-Putin rettet das öffentlich-rechtliche Fernsehen, noch viel besser fand ich allerdings einen Beitrag über die „Real Super Heroes“ in den USA, die gleich die ganze Welt retten. Die gibt es schon länger, an mir flogen die bis zum Sonntag allerdings vollkommen vorbei, in meinem Weltenrettungsszenario tauchten die bis jetzt nicht auf.

Die Helden, die da im Weltspiegel Heldentaten vollbrachten, waren vor allem allzu Schüchterne – ohne Maske traue ich mich gar nicht Menschen anzusprechen, aber so geht’s viel besser –, die Obdachlosen Müsliriegel anboten oder den Müll von der Straße sammelten. Spätestens seit den 1970ern ist das Phänomen in den USA bekannt, wie der Spiegel schon berichtete, aber nicht alle Real Super Heroes sind so harmlos. Mit Pfefferspray mitten hinein in eine Keilerei, bämm, zack, puff, da können dann gleich noch die ethischen Diskussionen der Superheldenfilme mitübernommen werden: Darf der das? Steht der über dem Gesetz? Nein, ich warte nur auf den Tag, da die Welt keinen Helden mehr braucht!

Müllaufsammeln ist eher langweilig. Eine Heldentat für Langeweiler, für Spießer, die vielleicht noch allzu pädagogendämlich vom Alltagshelden sprechen. Mit einem Superheldenkostüm bekommt das ganze viel mehr Pfiff, Coolness – naja, nicht wirklich –, aber immerhin etwas Besonderes, wie Kindergeburtstag nun mal ist. Hey, ist das Müll oder Kryptonit? Sei vorsichtig und fass es nur mit deinem vierfingrigen Greifarm an.


Superbarrio Gomez in Mexico City, was aussieht wie ein Mittelklassewagen hat vermutlich einen Raketenantrieb; Quelle: Wikimedia.

 Sie tun ja Gutes. Der Spott ist zu billig. Aber wollen die nicht bloß auffallen? Ins deutsche Fernsehen für ein paar Müsliriegel? Ach, reine Motive gibt es doch nicht, immer findet sich bei dem Hauptgrund, etwas Gutes zu tun, noch ein Nebengrund, ein Untergrund, ein Hintergrund und eine Zwischendecke. Nur Jesu linke Hand wusste nicht was die rechte tat, als er gerade wieder damit einem Lahmen auf die Beine half oder einem Hungrigen Müsliriegel anbot. Man sollte sie also vielleicht einfach machen lassen. Sie haben ihren Lohn – und ihren Spott – dahin.
 

Ja, ihren Spott. Den ziehen sie ja mit ihrem Kostüm zusammen an. Das Kostüm ist nicht allein auf das Auffallen hin berechnet, sondern, wie oben angedeutet, die einzige Möglichkeit, überhaupt so banale gute Dinge tun zu können. Das Kostüm schützt, denn es verbirgt den echten Menschen, sein Kostüm wird erkannt, nicht er. Es ist ein Schutz, da es die Sehgewohnheiten durcheinanderbringt. Der Typ räumt den Müll von der Straße. Oder: Da ist ein Superman, der räumt den Müll von der Straße. - Na endlich tut der auch was für uns. Aber hör mal, Müllaufsammeln könnten wir doch selbst. Stimmt, lass uns gleich anfangen. 

So schnell geht das mit einem guten Vorbild, und die Stadt ist sauber. Nun warte ich auf einen Super-Pro-Putin, der sich mit Pfefferspray auf einen NATOgneto stürzt. Live eingefangen von der ARD.

Dienstag, 21. Oktober 2014

Der Tod, dieser schreckliche Spaßvogel


Der Tod ist heikel. Wenn er sich ins Gespräch bringt oder von jemandem eingeschleppt wird, beginnt der Ernst. Die letzten Friedhofsbesuche sind kein Smalltalk-Thema. Überall liegen Schlipse, die betreten würden, sobald man flapsig über das Thema spricht oder schreibt.

Bei Günter Jauch ging es am vergangenen Sonntag um Sterbehilfe, das für mich ein Aufreger-Thema ist. Ich war selbst überrascht, ich blieb nach dem Tatort dort hängen. Überrascht, weil mir das bei Jauch nur äußerst selten passiert, überrascht noch mehr, weil ich das Thema im Fernsehen schlecht ertrage. In der Regel spricht man über dieses Thema am liebsten vollkommen uninformiert oder vollkommen intim. Das ertrage ich beides nicht. Überhaupt ist das ganze Thema ja nicht zu jeder Zeit gut konsumierbar. Beim Glas Rotwein noch Jauch über Sterbehilfe – eher nicht. Aber die Runde sprach wirklich sehr ernst, sehr nachdenklich, sehr gut informiert über das Thema.

Ausgerechnet der Tod macht nun Werbung für meine kleine Erzählung, für die ich eine Finanzierung suche. Warum ausgerechnet dieser Lümmel? Schrecklich habe ich das kleine Bild genannt, aber es soll auch irgendwie zu meinem Textchen passen, schrieb ich. Dabei wird in der Erzählung nicht ständig gestorben. Das Bild gefällt mir aus einem sehr bestimmten Grund, es erinnert mich an die berühmten Totentänze.

Unerfreulich, wenn aus dem Spiegel, der Tod herauslächelt. Das Bild ist eine Aquarellkopie des Basler Totentanzes aus dem 15. Jahrhundert.  

Die ersten bildlichen Darstellungen von Totentänzen stammen wohl aus dem späten Mittelalter. Immer muss bei diesen Darstellungen der Papst dran glauben und der König natürlich, meistens auch eine schöne Jungfrau oder ein reicher Kaufmann. Der Tod macht alle gleich. Das ist eine Warnung und ein – äußerst makabrer – Trost: Irgendwann stirbt auch Angela Merkel. Oder Paulo Coelho. Und im Tod sind alle gleich.

Das hat allerdings rein gar nichts damit zu tun, jemandem den Tod zu wünschen. Das verdeutlichen ja die Totentänze: Der Tod lädt ALLE ein zum Tanz. Und Niemandem bleibt etwas. So ein Ernst passt nun zur Vorstellung des Mittelalters, wo alle zu ernst lebten, zu wenig Urlaub machten, zu viel arbeiteten und zu viel starben. Doch es ist ein Tanz, ein lustiger Tanz. Wie ernst soll man diesen lächerlichen Tod denn nehmen mit seiner Tröte. Da versinke ich doch nicht in trübsinniger Betrachtung, das ist tatsächlich witzig dargestellt.


 
Aus dem Vergänglichkeitsbuch von Wilhelm Werner von Zimmern, Mitte 16. Jahrhundert. 

Es ist also beides zugleich: Der ungeheuerliche Ernst und der Spaß, der leicht darüber hinweggehen könnte. Und genau das gefällt mir. Nicht dass ich einen Totentanz mit meiner Erzählung geschaffen hätte. Es ist dieses Spiel, hinter dem der Ernst lauert. Oder ein Ernst, über den man jederzeit ganz leicht hinwegspringen kann. Genau das fasziniert mich. Und auch das machte die Jauch-Runde zu einer besonderen Talkrunde, als Thomas Gottschalk bemerkte, er möchte unbedingt 100 Jahre alt werden und hat schon Panik, wenn er an seinen 65. Geburtstag denkt.


 
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Da ich unterschätzt hatte, dass Crowdfunding manchen natürlich noch unvertraut ist, eine Anmerkung: Das kleine Büchlein wird es nur geben, wenn das Finanzierungsziel erreicht wird. Sonst kommt das in die Tonne. Es ist eine Vorbestellung, die also scheitern könnte. Das ganze ist allerdings risikofrei: Das gesamte Geld erhält man von Visionbakery zurück, falls die Finanzierung nicht zustande kommt.

Freitag, 17. Oktober 2014

Das hätte ich nicht erwartet!


Ein halbes Jahr ist es her, da veröffentlichte ich hier eine kleine Reihe zu PeterLicht (1, 2, 3), dessen Lieder ich seit dem ersten Album und seinem „Sonnendeck“ sehr, sehr schätze. Konkreter Anlass für meine Texte war auch das damals geplante Live-Album, für das PeterLicht eine Crowdfinanzierung auf die Beine stellen wollte. Ein halbes Jahr ist das her, das Live-Album ist mittlerweile eingetroffen, sehr live klingt das – singt nicht Helene Fischer von „Atemlos“, mit perfekter Atemtechnik, lächelnd, noch genug Luftreserven für einen Tauchgang; bei PeterLicht kann man es hören, man hört den deutschen Sprinter in der ersten WM-Runde, Bolt distanziert ihn lächerlich leicht, man hört ihn japsen, zu schnell, viel zu schnell ist das – und eine großartige Liedauswahl wurde getroffen.

Als ich diese kleine Reihe schrieb, ahnte ich tatsächlich noch überhaupt nicht, dass ich selbst schon ein halbes Jahr später in so einer Kampagne stecken würde. Und jetzt also um Unterstützung bitte.

Ich schreibe zu viel. Manche Texte, die entstehen, haben irgendeinen Sinn, wie eine Promotion, die man dafür bekommt, oder Geld vielleicht. Manche Texte landen hier im Blog, das ist auch in Ordnung. Und dann gibt es da schon seit längerem einen Text, der nirgends so recht unterzubringen war. Ich hatte den ein paar Verlagen angeboten, einige hatten Interesse geäußert, andere schwiegen. Aber es wurde – aus verschiedenen Gründen – nichts daraus. Nun, einen letzten Versuch nahm ich mir vor, beim ziemlich neuen Kladde-Verlag, der auf Crowdpublishing setzt. Das sollte nun Klarheit verschaffen, ob dieses Textlein auf Interesse stößt. Die Leute vom Verlag fanden: Ja! Das ist interessant! Nun ist die „Crowd“ dran.

Literarische Texte habe ich bislang nicht veröffentlicht. Wer allerdings hier hin und wieder gerne reinliest, macht wohl nichts falsch mit der Unterstützung. An der Erzählung habe ich natürlich länger gefeilt, länger geschliffen bis die Worte sitzen. Und der Kladde-Verlag lektoriert noch mal fleißig, falls die Unterstützung zustande kommt.

Mit diesem - schrecklichen - Bild, das der Verlag zu der Erzählung ausgesucht hat, und das irgendwie einen Aspekt des kleinen Romans trifft, mache ich Werbung und verweise auf die Funding-Seite.
http://www.visionbakery.com/ein-plagiat

Edit: Nach kurzen technischen Schwierigkeiten geht es jetzt also tatsächlich los...

Montag, 13. Oktober 2014

Kunst? Im Fernsehen? Was soll das denn? Der Tatort mit Ulrich Tukur


Ulrich Tukur wird teilweise Selbstdarstellung vorgeworfen, was einen Schauspieler, der doch alle möglichen Figuren darstellen soll, dann beleidigen könnte. Er spiele immer nur sich selbst, konnte man lesen. Er stelle sich immerzu in den Mittelpunkt. Nun, es ließe sich auch sagen, Tukur besitzt nun mal eine so ungeheure Präsenz, das neben ihm kaum etwas ins Blickfeld gerät. Wenn Tukur auftritt, sieht man nur noch ihn. Im Tatort vom Sonntag gab es einen Gegenspieler, der mithalten konnte. Es war der Teufel selbst, der die zweite Hauptrolle im Tatort übernehmen durfte.

Wer heute die Kritiken durchgeht, findet vieles, was diesen Tatort so besonders gemacht hat: Diese Verdichtung der großen Schießerei zu Gemälden; der shakespearesche Sprecher, der noch weiterreden durfte, als er längst tot war; die Wild-West-Szene; die Tarantino-Zitate; Albernheiten, wie die Drinks für das SEK; die Musik etc. Das hatte mit der Tatort-Reihe, überhaupt mit deutscher Krimi-Tradition, höchstens in Anspielungen noch zu tun. Huch, das war ja Kunst, was da lief.

Und vor allem der Teufel selbst, der da spielte, sich also auch bloß selbst spielen musste, der in anderen Filmen als Schauspieler Ulrich Matthes im Abspann geführt wird. Glaubwürdig war das alles nicht, aber um Glaubwürdigkeit hat sich der Teufel nie gekümmert.

Der Teufel, der natürlich nett, scharfsinnig und witzig sein kann, gab sich deutlich zu erkennen, als er über Gottes ersten Zaubertrick sprach: Der Trick mit dem Licht, als der kleine rote Laserpunkt des Scharfschützen langsam über den Boden wanderte und erst am Herzen des nächsten Opfers anhielt. Das war einer von sehr vielen ausgeworfenen Ankern in die Kunst- und Kulturgeschichte, Shakespeare, Genesis, Beethoven. Aber ist das Ganze bedeutsam oder nur ein – sehr gut gemachtes – Spiel mit Zitaten. Lässt sich da ein Sinn herausklopfen?

Es ging um Rache. Rache ist also, das machten über vierzig Tote klar, keine annehmbare Lösung. Und so sagte es zum Ende auch der freundliche Sprecher. Aber um die Psychologie der Rache ging es ganz und gar nicht. Vollkommen an den Haaren herbeigezogen, wie in den wenigen kritischen Besprechungen des Films bemängelt wurde. Da kommt dieser Kerl nach dreißig Jahren zurück nach Deutschland und hat nichts anderes im Sinn, als sich an einem Kommissar zu rächen? Die Rache war allein ästhetisch begründet, und sie machte ja großen Spaß. Wenn ein Schüler „das gibt Rache“ schreit, wird man kaum darauf verfallen, ihm diesen Tatort als Gegenmittel anzubieten: Da siehst du, wohin Rache führt, und jetzt schmeiß die Machete in die Spree.

Das zielt gerade an den spannenden (ästhetischen) Fragen vorbei, die an einem solchen Tatort sich diskutieren ließen. Nämlich, warum kippt das hier in so einen Spaß um? Das fällt gerade bei der Tatort-Reihe so massiv auf, weil sie ja sonst oft – ein bisschen – sozialkritisch daherkommt. Hier bedauert man die Toten nicht, ich habe mich jedenfalls diebisch gefreut, als dieser dumpfe Schieß-Trupp die Pillen einwarf und es richtig losgehen sollte. Dieser „Krimi“ ist eher „Krimi-Spielen“. So wie Moral und Sozialkritik eben nicht am Platz sind, wenn Kinder Cowboy spielen und sich gegenseitig "totschießen". Das wirkt doch meistens pedantisch, neu-spießig, wenn die Eltern sagen, nein, nicht totschießen, nur ein bisschen verletztschießen, ja?! Allerdings, die Übergänge sind fließend vom Spaß zum Betroffensein, wie der letzte Tote des Tatorts deutlich machte. Das Spiel ist nicht in jedem Fall unschuldig, gespielte Rache handelt eben doch von Rache. Oder moralisch gewendet: Nicht alles, was sich wie ein Spiel anfühlt, hat mit Moral überhaupt nichts mehr zu tun.

Woran es dann liegt, ob das Spiel unschuldig ist oder nicht und bis zu welchem Grad? Und wann kommt die Moral ins Spiel? Bei diesem Tatort lag es – wenn man mir da überhaupt folgen will – an der ganz deutlich hergestellten Empathie des Zuschauers. Der letzte Tote wurde zuvor zum Mitfühlen angeboten.

Wenn also der kleine Jakob seinem Freund Peter mit der Spielzeugpistole vor die Brust schießt und „du bist jetzt echt tot“ ruft, aber im nächsten Moment seinen verletzten Teddy mit besorgtem Gesicht zu Tierdoktor Mama bringt – dann scheint mir alles in Ordnung zu sein.