Dienstag, 25. November 2014

Der polarisiert halt: Über Paul Adler


Der polarisiert halt. Putin zum Beispiel oder Norbert Blüm mit seiner Kritik am Rechtssystem. Die sind total am Polarisieren. Auch Weselsky, der polarisiert auch. Oder es sind Vorhaben, die polarisieren, Fracking beispielsweise soll angeblich polarisieren, das neue Anti-Doping-Gesetz ebenso, das polarisiert nun mal.

Polarisieren bedeutet, laut Duden, dass Gegensätze immer deutlicher hervortreten oder sich etwas zu Gegensätzen entwickelt hat. Ja, so besehen, stimmt das. Entweder für die Bahn-Streiks oder dagegen, dazwischen geschah nichts mehr auf den Bahnsteigen. Und zu sagen, Das-und-Das polarisiere, bedeutet auch, sich die Dinge einfacher zu machen, als sie sind. Die Zwischenpositionen darf man mal wegfallen lassen. Die Welt ist kompliziert genug, und wenn die Medien von Polarisierungen sprechen, tun sie einen guten Dienst: Die Welt wird wieder einfacher. Wer nicht dafür ist, ist dagegen, und wer nicht dagegen ist, ist dafür – sagte schon Jesus; ganz einfach, oder nicht?!

Da steckt nun allerdings ein Problem von Henne-Eierschen Ausmaßen: Polarisiert Putin? Oder wird er bloß zu einer polarisierenden Figur, weil in der Berichterstattung alle Zwischentöne weggelassen werden? Was heißt das denn, jemand polarisiere? Man kann Bayern München nur hassen oder lieben. Ach, wenn irgendetwas so einfach wäre. Wenn ich nur wüsste, auf welcher Seite ich dann stehe. (Fühle nur ich mich zu kompliziert für so solche Vereinfachungen? Und ist das jetzt kokettieren mit der eigenen Kompliziertheit?)

Manchmal scheinen Polarisierungen hausgemacht, sie werden einer Person untergeschoben, die gar nichts dafür kann, sich selbst eigentlich ziemlich mittig fühlte und die sonst politikerweich alle freundlich einschloss und jedem auf die Schulter klopfte. Manchmal allerdings scheinen Personen, Dinge, Vorhaben, Werke eine originelle Qualität zu besitzen, die tatsächlich eine Polarisierung nahelegt. Originell, schreibe ich, weil es wahrscheinlicher ist, wenn in irgendeiner Form ein unbekanntes, neues Element vorhanden ist, bei dem man nun nicht weiß: Genial oder suboptimal?

Das wäre nun eine Bedingung – unter weiteren – dafür, dass ein Kunstwerk lange verkannt werden kann: Es besitzt eine originelle Qualität, die in der Gleichzeitigkeit nicht zu beurteilen ist, sondern erst im Nachhinein. Dann ist es natürlich leicht, wenn alle sehen, wie folgenreich Kafka war, dann ist es einfach. Als Zeitgenosse sehr viel schwieriger.

Manche Texte sind allerdings auch 100 Jahre nach ihrem Erscheinen noch nicht richtig einzuschätzen, so zum Beispiel der merkwürdige Roman „Nämlich“ von Paul Adler. Kaum einer kennt diesen Text. Diejenigen, die ihn kennen und mit denen ich sprach, wussten nur von zwei Qualitätsextremen, als säße Adler 100 Jahre zu spät bei einer Castingshow: „Supergeil“ oder „tut mir leid, einfach nicht mein Ding, aber komm nächstes Jahr wieder, wenn du an dir gearbeitet hast“.

1915 erschien der kleine Roman in Dresden im Hellerauer Verlag. Und über die Verbindung  Dresden-Hellerau taucht Paul Adler dann immerhin in der Kulturgeschichte auf. Dort entstand eine sehr bedeutende Gartenstadt und Adler war an dieser Bewegung zeitweise stark beteiligt. Paul Adler hat mehrere literarische Texte veröffentlicht, alle sind schwierig, eigensinnig, verschroben, heute fast vergessen und kaum noch zugänglich.

Für seinen Roman „Nämlich“ wird aber immer wieder gefordert, dass man sich dem doch bitte zuwenden solle. Andere verschrobene Autoren der Zeit, wie zum Beispiel dieser Herr Kafka, gingen schließlich auch in den Hörsälen deutscher Universitäten ein und aus.

Und 1915, als der Roman erschien, der Erste Weltkrieg war vom Zaun gebrochen, Adler hatte als einer von sehr wenigen eine Kriegsdienstverweigerung durchsetzen können, lässt er in „Nämlich“ einen Wahnsinnigen Sätze sagen, die – das ist sehr leicht einzusehen – polarisiert haben müssen:

„Wut-Geschrei: Daß der Mensch auch niemals zu einer geringern Menge des Bösen gelangen wird, als die größte mögliche Menge alles Bösen ausmacht. – Ich beweise dies eben aus dem, was du, träumender Leib, von mir angenommen hast.
Wutgeschrei: Daß der Mensch ein politisches Wesen und kein Weltverbesserer oder Narr ist, vielmehr ein solcher Besessener, der die Welt beständig zu verschlechtern trachtet. Folgt aus dem, was dein Gemüt bereits zugeben mußte.
Wutgeschrei: Daß es immer Kriege gegeben hat und immer geben wird. Daß der ewige Friede ein Traum ist und nicht einmal ein schöner. Ableitung wie oben, aus deinem Herzen.
Hohngeschrei: Daß der Staat wie die kriegerischen Termiten in Avorun ein notwendiges Übel oder eine üble Notwendigkeit ist. Man kann aber auch sagen ein notwendiges Gut, da ja ein Gut eben das genannt wird, was zu seinem Zweck führt. Der Zweck der bösen Welt aber kann natürlich nur ein böser sein. Diese Bosheit, o Mensch, ist dein Vaterland.“

Mittwoch, 12. November 2014

Echte Helden (2)


Spaß am Verkleiden: In Köln denkt man, das kennen alle. Verkleiden ist doch toll. Ja genau, zumindest mal für Kinder und Kölner. Und für die Real Life Super Heroes. Die Ästhetik dieser Helden ist in gewisser Weise sehr beeindruckend. Einige haben sich im so genannten „The Real Life Super Hero Project“ zusammengeschlossen und kopieren dort den Stil der, tja, unechten Super-Heroes, also der Comicvorbilder.

Bei diesem Super-Hero-Projekt spielt die Darstellung eine große Rolle. Die Poster in der Galerie sollen aussehen wie Kino-Poster. Das gelingt dem einen besser, dem anderen schlechter. Jedenfalls ist ein starker Hang zur Ästhetisierung zu erkennen. Warum, so könnte man fragen, will eigentlich jemand aussehen wie eine Comic-Figur?

Klar, die Comic-Helden strahlen in die Kindheit hinein. Wer ist stärker, Papa, Superman oder X-Man? – Ähhh, also Superman war eigentlich der allerstärkste. – Dann bin ich Superman!

Das sind Identifikationsfiguren. Psychologen nach vorne: Könnt Ihr mir erklären, warum es reizvoll ist, sich einzubilden, ein Superheld zu sein, oder Superheld zu spielen? Ach so, dafür wird gar kein Psychologe benötigt. Und für die Real Life Superheroes hat die Verkleidung ja auch einen Nutzen. Aber wieso ausgerechnet Comic-Helden? Könnte man sich nicht einfach als Angela Merkel verkleiden und den Müll aufsammeln. Oder mit Joachim-Gauck-Maske und Pfefferspray mitten hinein in eine Schlägerei? Für die Freiheit!

Dahinter steht der Wunsch, die Ästhetik einer fiktionalen Welt in die echte Welt zu transportieren. Es sind also nicht allein Rollenvorbilder, sondern ästhetische Vorbilder, die da nachgeahmt werden. Und warum auch nicht? Das Triste und Banale des Alltags soll mit dieser Stilisierung überwunden werden.

Das ist gar nicht neu. Besonders bekannt ist in Deutschland vielleicht das Schloss Lichtenstein, in Baden Württemberg, das auf Anregung eines Romans von Wilhelm Hauff wieder aufgebaut wurde. Die Burg, die dort einmal stand, war im 19. Jahrhundert längst zerstört, sie spielt aber im Roman „Lichtenstein“ eine bedeutende Rolle. Der sogenannte Historismus ist hier weniger Wiederaufbau historischer Gebäude, sondern vielmehr Nachempfindung eines Historienschmökers. Oder das berühmteste Beispiel dieser Art natürlich: Neuschwanstein. So sah doch niemals eine echte deutsche Ritterburg aus! Was hat er da gemacht? Nein, da hatte er Wagner im Kopf, als Ludwig die Pläne absegnete. 

 Aus dem Roman auf die schwäbische Alb: Schloss Lichtenstein. Bild von donald auf Wikimedia.

Und als vor ein paar Jahren der Neuseeland-Hype durch die „Herr der Ringe“-Filme ausgelöst wurde, standen die Touristen enttäuscht im Auenland – nicht einmal Reste der Hobbit-Häuschen haben die Wissenschaftler bis heute gefunden.

Im 19. Jahrhundert liegt es auf der Hand die Ritterromantik unter anderem (!) als eine Reaktion auf die Industrialisierung zu deuten: diese Städte, diese Beschleunigung, all das Neue. Dann lieber eine Ritterburg bauen wie im Märchen. Und heute die Comicmasken? Und gerade nicht Merkel oder Gauck? So einfachen Kompensationserklärungen sollte man wahrscheinlich misstrauen.