Samstag, 3. Januar 2015

Raus aus der Politik, rein in den Garten


Julia Friedrichs hat für das ZEIT-Magazin einen Artikel verfasst, der mich fast überflüssig macht. Es geht um einen gesellschaftlichen Trend des Rückzugs, ein Rückzug in ein „Neues Biedermeier“ oder mit meinen Worten: in eine neue Spießbürgerlichkeit. Das ist gut geschrieben, weitgehend klug argumentiert, viele interessante Aspekte sind da zusammengetragen.

Friedrichs geht von einigen Zeitschriften aus: „Flow“, „My Harmony“, „Emotion Slow“ und „Landlust“ natürlich. Sie zitiert ein paar signifikante Sätze – und verdammt nochmal, das liegt doch so auf der Hand, warum habe ich das nie gemacht?

Sie zitiert zum Beispiel aus „Flow“: „Seit ich mir die Zeit nehme, wirklich hinzusehen, fühlen sich so viele Momente, Beziehungen und Dinge anders an. Bedeutungsvoller. Schöner. Entspannter.“ Da liegt das neue Biedermeier auf dem Nierentisch. Und wer will da noch herummäkeln, dass man sich bei einer Stilanalyse bloß diesen kurzen Absatzes kaum entscheiden könnte, mit welcher stilistischen Katastrophe man beginnen soll, wenn sich für die Schreiberin nun alles ganz bedeutungsvoll und schön anfühlt? Nein: Bedeutungsvoll. Schön. Ein-Wort-Sätze. Die sind: Lyrisch. Prägnant. Cool. Am effektvollsten treten sie zu dritt auf. Und um das Maß der schlechten Effekthascherei endgültig voll zu machen, das Fass überlaufen zu lassen und den Boden auszuschlagen, sind es drei Komparative: „Bedeutungsvoller. Schöner. Entspannter.“ Das heißt: Maß voller. Fass übergelaufener. Boden ausgeschlagener.

Schnell hat man solch ein Geplapper überflogen. Bloß nicht nachfragen, wie sich denn ein Ding bedeutungsvoller „anfühlen“ könne. Denn genau darum geht es ja. Auch dieses Geplapper soll sich bedeutungsvoller anfühlen, als, sagen wir mal, eine politische Analyse. Das „Anfühlen“ kommt hier durch Worthülsen zustande, die Assoziationen wecken und die man eben nicht auf ihren Sinn hin befragen darf, wenn man mit diesem „Flow“ glücklich zu werden hofft.

Zurück zu Friedrichs und ihrem Artikel über den Rückzug. Sie trägt vieles zusammen, wie diese Zeitschriften, die neue Lust an der Handarbeit, an Gartenarbeit, das Interesse an „Aufmerksamkeit“, an Regionalem, an Langsamkeit etc. etc.

Manches wurde hier im Blog ja schon thematisiert. Allein das kritische Potenzial dieser Bewegungen unterschätzt Friedrichs. Sie wirft diese Frage zwar auf, ob das nicht vielleicht eine gesellschaftsverändernde Bewegung sein könnte, wenn Menschen begännen, „im Kleinen“ Veränderungen in die Tat umzusetzen. Aber Friedrichs Beispiele sind unfair: Die nachhaltige Hose für 300 Euro, ja, damit ertappen wir den neuen Spießbürger in flagranti. Aber nicht jede Stadtgarten-Bewegung und auch nicht die Real-Life-Super-Heroes beispielsweise sind elitäre Phänomene.

Leider, Frau Friedrichs, möchte ich da sagen, immer wenn man gerade dem Herrn Biedermeier die Nase samt Hand-Made-Brillengestell einschlagen will, kommt einem diese elende Komplexität dazwischen.

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