Montag, 23. Februar 2015

Afrika, dieses ferne Land


Ich bin markentreu, vielleicht sogar markengläubig. Wenn ich einmal von einer Marke überzeugt bin, dann bleibe ich gerne dabei. Das macht in vielen Situationen das Leben einfacher. Komplexitätsreduktion heißt so etwas (in einem beliebigen Buch von Niklas Luhmann nachzulesen).

Zum Beispiel Bier. Ich liebe bayrisches Klosterbier. Wenn ich im Getränkemarkt einen Kasten Bier kaufe, dann suche ich nicht lange, überlege hin und her, vergleiche die Zutaten Wasser, Gerste, Hopfen mit Wasser, Gerste, Hopfen, sondern ich entscheide mich augenblicklich für das „Klosterbier-Hell“ der Klosterbrauerei Scheyern. Sollte ich einmal Lust auf ein dunkles Bier verspüren, dann wähle ich „Klosterbier-dunkel“ von derselben Klosterbrauerei. Gäbe es im Getränkemarkt Klostermilch, Klosterjoghurt oder einen Klostermangosaft der Klosterbrauerei Scheyern, ich würde das kaufen. Dumm nur, wenn gerade einer der beiden anderen ostwestfälischen Klosterbierliebhaber den letzten Kasten Bier kurz vor mir gekauft hat. Muss ich nun durch die ostwestfälische Provinz fahren, auf der Suche nach einem zweiten Getränkemarkt, der bayrisches Klosterbier verkauft. Oder Wasser trinken? Da kommt die Komplexitätsreduktion zum ersten Mal an ihre Grenzen.

In vielen Bereichen kenne ich mich mit Marken allerdings überhaupt nicht aus. „JAKO O“ soll eine super, ja sogar mega-tolle Kindermarke sein. Anders als die Klosterbrauerei Scheyern, die vor allem Klosterbier anbietet und nicht beispielsweise Klosterkleinwagen, verkauft „JAKO O“ eine Menge Zeug, vor allem Kinderkleidung, aber auch Kinder-Musik-CDs. Kinder-Musik ist, meiner bescheidenen Erfahrung nach, ein äußerst kompliziertes künstlerisches Gewerbe, denn all das, was Kindern gefällt, ist für Erwachsene so nervtötend, dass man auch eine Rückkopplung abspielen könnte. Nun, die „musikalische Weltreise“ von „Nola Note“ bei „JAKO O“ gehört zu den erfreulichen Ausnahmen. Es sind nette Liedchen, die sich ein wenig an die Folklore verschiedener Länder annähern, also Musik aus Irland beispielsweise, dazu viele Erläuterungen zwischen den Liedern und in den Liedtexten selbst. Das geht nicht ohne Klischees, das ist klar. Kein Russe ohne russische Seele.

Ist kein Problem, ist ja für Kinder, die werden irgendwann lernen, dass in Argentinien nicht ausschließlich Tango getanzt wird, aber erstmal ist so eine Komplexitätsreduktion sehr hilfreich. Besonders reduziert stellt sich das Ganze allerdings für Afrika dar. Im Lied über Afrika heißt es: „Denn überall im Land / lernt trommeln jedes Kind, / weil Trommeln dort in Afrika / ein Teil des Lebens sind.“ Wieso eigentlich Land? Ich sehe in meinem Atlas nach, es stimmt gar nicht, Afrika ist ein Kontinent.

Ah, als Land wird Afrika bloß im Lied bezeichnet, in den Erklärungen heißt es richtig: „Der Kontinent heißt Afrika und egal, wo wir jetzt landen, wir werden sie hören: die Trommeln.“ Nun gut, wer in Kairo landet, erwartet nicht gerade westafrikanische Trommeln. Also korrekterweise müsste es heißen, nicht ganz egal, wo wir landen, aber die Wahrscheinlichkeit ist schon hoch, dass, wenn man irgendwo in Afrika aus dem Flugzeug geworfen wird, bald Trommeln zu hören bekommt. So viel steht ja fest!

Nach dem Lied weiß Nola Note zu berichten: „Oh ja, Töne haben etwas mit Natur zu tun. Die Natur hat sie erfunden. Afrikanische Trommeln sind der Beweis.“ Warum sind ausgerechnet afrikanische Trommeln der Beweis, dass Töne etwas mit Natur zu tun haben? Wäre eine echt-deutsche Flöte nicht ein genauso guter Beweis? Nein, nein, mit den steinzeitlichen Knochenflöten beginnt ja gerade die Kultur. Das ist was anderes.

Ach, dass die Erklärungen ausgerechnet zu Afrika etwas schwammig werden, hat ja einen guten Grund, muss ich zugeben, denn das ist, trällert es aus der Box, „so weit von uns entfernt“. Aus der Ferne sieht man schlecht, das sagt die Physik und an der lässt sich gar nicht rütteln. Argentinien oder Mexiko (ich habe das nachgeschlagen, man könnte diese Länder auch Süd- und Mittelamerika nennen) sind selbstverständlich nicht „weit entfernt“. Und auch das stimmt, denn es finden sich etliche Länder in Afrika, die weiter von Deutschland entfernt liegen, als dieses von – ein ganz willkürlich gewähltes Beispiel – Venezuela.

Eine Trommel, Bild von Enfo auf Wikimedia.

Ist das meinerseits nicht Erbsenzähle- und Klugscheißerei? Sind doch nur Kinderlieder, meine Güte! Und Komplexitätsreduktion ist absolut notwendig.

Wenn die Kinder groß sind, werden sie lernen, dass es da in Afrika doch noch Differenzen gibt, oder nicht? Im Tagesspiegel wurde gerade darüber berichtet, dass der Tourismus in ganz Afrika seit der Ebola-Epidemie leide. Denn wer will jetzt schon, sagen wir mal, nach Süd-Afrika? Ebola ist da immer nur ein paar tausend Kilometer entfernt.

Und zum Beispiel auf dem Blog techtag heißt es: „Afrika erlebt seit Jahren einen Boom. Speziell China investiert Milliarden in das Entwicklungsland.“ (Hervorhebung von mir)

Aber die FAZ. Dort darf Thomas Scheen tatsächlich darüber nachdenken, dass Afrika „kein uniformes Gebilde“ sei, dass Afrika nicht gleich Afrika ist. Sapperlot! Und er weiß sogar warum, denn Afrika hat ein „Imageproblem“. Da würde ich allerdings gerne widersprechen: Wir haben ein Komplexitätsproblem. Luhmann beispielsweise war durchaus in der Lage zu erkennen, wann ein kleines bisschen mehr Komplexität einer Sache gut tut, damit sie verstanden werden kann. Vor allem sollte die Komplexitätsreduktion nicht – und da will ich gar keinen Teufel, schwarz wie die afrikanische Nacht, an die Wand malen – falsche Ängste schüren.

Zu pessimistisch heute? Aus einem ganz anderen Blickwinkel und deutlich optimistischer nähert sich der sehr lesenswerte Blog Am Fenster dem Thema der nationalen Stereotype.

Samstag, 14. Februar 2015

Durs Grünbein rechnet ab!



Dresdner Dichter haben derzeit die schönsten Namen: Grünbein, Rosenlöcher, Popp! Hier Durs Grünbein, Foto von dontworry auf Wikimedia.

Ausgerechnet von Durs Grünbein hätte ich so einen Artikel nicht erwartet. Grünbein zählt ja insgesamt eher zu den, man darf das wohl sagen, intellektuellen Dichtern. Böse Menschen würden vielleicht sagen, das ist Dichtung, für die man einen Uni-Abschluss braucht. Grünbein denkt in Sonetten, hat immer eine Seneca-Anspielung in petto, haut vorm Schlafengehen noch ne neue Aischylos-Übersetzung raus, weiß das doppelte von alles über Neuro-, Psycho-, Hirngedöns.

Und nun auf der ersten Seite des Feuilletons der ZEIT seine Abrechnung übertitelt mit: „Das Volk dieses Monster. Auf den Demonstrationen der Pegida offenbarte sich die Dresdner Seele. Eine Abrechnung mit der Mentalität meiner Heimatstadt.“ (ZEIT, vom 12.02.2015, nicht online, hier ein paar Gedanken dazu.)

Auf dem kleinen Grünbein-Porträt, das dem Artikel beigefügt ist, blickt er finster. Der Deus ex machina kommt, um unsere Welt in Ordnung zu bringen, so hoffen wir. Jetzt, am Ende des Stücks, da die Pegida-Demonstrationschöre fast verklungen sind, tritt Grünbein auf und schickt die Pegida von der Bühne hinunter.

Die Frage hatten ja viele gestellt: Warum ausgerechnet in Dresden? Warum da? Da sind doch kaum Migranten, als würde man in einem Steakhouse, den um sich greifenden Vegetarismus erblicken. Aber das war unsauber gedacht, als hätten Ressentiments tatsächlich etwas mit dem Fremden zu tun, als müsste es da sein, um Ressentiments zu entwickeln. Es schadet allerdings auch nicht. Denn die Gegenposition macht mich ebenfalls skeptisch: Gerade deshalb sei es in Dresden losgegangen, in Köln undenkbar, weil dort eben Migranten in ausreichender Zahl vorhanden seien, die in Dresden erst, zwecks Ressentimentbekämpfung, angesiedelt werden müssten. Das glaube ich genauso wenig. Und so sieht es auch Grünbein, der sagt: „Eine Bedrohung findet sich immer.“ Es ist die Kleinbürgermentalität, die er angreift.

Und er schreibt, nachdenkenswert, wie ich finde, darüber, dass die Pegida-Anhänger ‚genau wüssten‘, sie ‚unterscheiden genau‘. Sie wissen genau, wo die Grenzen der Kultur zu ziehen sind. Das ist alles äußerst lesenswert, und an viele Stellen könnte man anknüpfen.

Aber stimmt das hier? „Wissen“ sie? Unterscheiden sie „genau“? Meinem Spießbürger würde ich dieses Wissen und das genaue Unterscheiden jedenfalls nicht zutrauen. Sein Wissen ist diffus. Er will das alles weghaben, er weiß eben nicht genau, täte sich unendlich schwer, wenn er sich nun auf so wacklige Dinge wie Argumente verlassen müsste. Er weiß ‚fest‘, würde ich sagen, unumstößlich, unbelehrbar, wie Grünbein später schreibt.  Aber nicht genau. Und deshalb hielt ich die Diskussionen, die von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung angestoßen wurden, für sehr sinnvoll. Zuhören und antworten, das soll ja manchmal helfen, wenn Einer denkt, er wüsste genau, aber er weiß gar nicht. Wie die Studenten, die im Germanistik-Seminar mit den Augen rollen, wenn der Dozent fragt, ob alles verstanden sei – wir haben lange schon verstanden, weitere Erläuterungen bitte in den Papierkorb – und nach dem Seminar miteinander sprechen: „Ach, Goethe! Literatur aus dem Mittelalter interessiert mich einfach nicht.“ Die Illusionen des Verstehens, hoffentlich nicht unbelehrbar, da könnte ein Gespräch doch helfen.

Zu idealistisch? Das ist mein planloser Enthusiasmus gegen die Idiotisierung des Abendlandes.

Dienstag, 10. Februar 2015

Houellebecqs „Unterwerfung“: Verspätete Notizen



Michel Houellebecq, gehört nun zusammen mit Jojo Moyes und Giulia Enders zu den großen Bestsellerautoren. (Bild von Mariusz Kubik auf Wikimedia)

So große Aufregung herrschte seit „Harry Potter“ nicht mehr. Alle die lesen können, lesen Houellebecqs „Unterwerfung“. Und alle, die etwas über Literatur, den Islam oder beides zu sagen haben, äußern sich zu dem Roman.

Ich habe ja ein paar Stimmen in der Blogumschau eingefangen. Und der Artikel war eigentlich schon spät dran. Wer liest denn – mich, ein paar andere Rezensionssammler und gelangweilte Literaturwissenschaftler ausgeschlossen – mehr als, sagen wir, fünf oder sechs Besprechungen zu einem einzigen Buch. Bei der siebten stellt sich bei manch einem Leser Überdruss ein, die achte wird nur noch überflogen, wenn dann die neunte und zehnte wieder einmal Houellebecq und seine Äußerungen über den Islam beleuchten, denkt man ganz zu Recht: In der Zeit hätte ich den Roman ja komplett lesen und mit „Harry Potter“ noch einmal anfangen können. Oder die schönsten Passagen von „Darm mit Charme“.

Um das klar zu sagen: Es liegt auf der Hand, Houellebecqs Buch im Zusammenhang der jüngsten Ereignisse in Frankreich (oder auch mit Pegida in Deutschland) zu lesen. Das heißt allerdings nicht, dass das falsch wäre. Im Gegenteil halte ich das – und die elitäre Literaturwissenschaft zuckt aufseufzend mit den Schultern – für sehr wichtig. Aber ich habe nichts Neues dazu zu sagen. Nur deshalb schreibe ich etwas anderes über den Roman. Wenn Kafkas Texte hundertmal (ach, in Wirklichkeit tausendmal) als Parabeln und Gleichnisse bezeichnet wurden, ist es ja ganz unterhaltsam, wenn einer kommt, der sagt, vielleicht haben die Erzählungen irgendetwas mit Schauerliteratur oder Liebeslyrik zu tun.

Nur deshalb also und weil ich als Literaturwissenschaftler gerne etwas über Literaturwissenschaftler erfahre: Der Roman von Houellebecq lässt sich auch wunderbar mit „Weiskerns Nachlass“ von Christoph Hein vergleichen. Bei Christoph Hein kommt, soweit ich mich erinnere, kein einziger Muslim vor, Allah spielt überhaupt keine Rolle, keine verschleierten Frauen, kein Koran und an den Propheten denkt mehrere hundert Seiten lang auch niemand.

Aber hier wie dort, ein desillusionierter Literaturwissenschaftler, der leidenschaftlich an seinem Thema hängt (Weiskern bzw. Huysmans) und der gerne mit sehr viel jüngeren Studentinnen ins Bett geht. Um das auch gleich deutlich zu sagen: Ich schätze Christoph Hein. Dennoch, wenn man die beiden Romane nebeneinander legt, sieht man leicht, wo die Probleme liegen. In „Weiskerns Nachlass“ wird das ganze Thema zu zögerlich angegangen. Die Lage des literaturwissenschaftlichen Protagonisten ist eigentlich prekär, nur eine halbe Stelle, ein Nischen-Thema, das kaum Anklang findet, Einsparungen im Institut. Der Sex mit den Studentinnen scheint das letzte zu sein, was der literaturwissenschaftlichen Karriere im Nachhinein Sinn verliehen hat. Und irgendwann bekommt der Literaturwissenschaftler das Angebot, einen Studenten für einen großzügigen Betrag durchs Studium zu verhelfen. Bei Houellebecq lockt ebenfalls viel Geld, wenn der Protagonist nur zum Islam konvertierte.

Das sind deutliche Parallelen der beiden Geschichten, und beide Autoren führen ihre Hauptfiguren nicht in die existenzielle Verzweiflung, sondern federn sie gütigst ab. Stolzenburg, in Heins Roman, hat immer wieder Möglichkeiten zu handeln – die Verlegerbekanntschaft, die Anwaltsbekanntschaft, die Frauenbekanntschaft – und könnte die Initiative ergreifen, sodass der Text letztlich nur eine geringe Beklemmung oder Wucht erzeugt. Houellebecq macht etwas ganz anderes, merkwürdiges, wenn ich das richtig gelesen habe: Je näher seine Figur dem Islam kommt, desto mehr steigt auch dessen Selbstachtung. Bis er zum Ende hin sich fast als einen zweiten Nietzsche sieht, dessen Genialität er der Universität gar nicht vorenthalten kann.

Damit, wenn ich das richtig gesehen habe, würde der Roman tatsächlich vorführen, was er behauptet: Die Trägheit, der Zynismus, die Lebenssattheit könnten im Islam überwunden werden. Nun, merke ich, schreibe ich doch nebenbei über den Roman und den Islam, statt weiter über die Unterschiede der beiden Romane nachzudenken, bei dem der eine auch im Text seinem Thema nahekommen will – also literaturwissenschaftliche Formeln, Titel, Motive aufnimmt –, während der andere dem Leser das nicht zumutet, sondern seinen Weiskern nur vom Spielfeldrand aus beobachtet. Und Spielfeldrand – nein, das ist kein Vorwurf, den man dem Roman von Houellebecq machen könnte.