In
manchen Momenten kann ich Politiker beneiden: den beruhigenden Blick
auf Bundestagsdiäten beispielsweise, den stelle ich mir schön vor.
Oder auch ein Forschungszentrum einzuweihen, am besten etwas
löbliches: Erforschung jüdischer Gemeinden in Deutschland oder so;
natürlich nicht eine umstrittene Forschung, wie Primaten
nacheinander Shampoos und Hirnstöße verabreichen. Da würde ich
dann meinen Altmaier schicken. Aber da gibt es durchaus schöne
Momente in einem Politikerleben, wie ich es mir vorstelle.
In
diesen Tagen allerdings möchte ich kein Politiker sein, da bin ich
froh, weit weg von jeder Entscheidung zu sein, nichts mit
Asylpolitik, Innerer Sicherheit, EU-Politik zu tun haben.
Grenzkontrollen wurden eingeführt – aber was bedeutet das? Die
Tragweite einzelner Entscheidungen ist derzeit überhaupt nicht
abzusehen. Rückt Deutschland jetzt nach rechts, links, in die Mitte,
zwischen die Stühle oder bleibt es auf dem Sonnendeck? Ein „Welcome“
im Bus treibt uns die Tränen in die Augen, brennende
Flüchtlingsheime könnten das auch. Es geschieht zu viel in zu kurzer
Zeit, das wir kaum einordnen können, das uns „bewegt“ und zur
Solidarität treibt, aber dessen Folgen wir nicht verstehen.
Und
mit einzelnen Meldungen werden immer wieder die großen Geschichten
angerufen: Europa zerbricht! Rechtsradikalisten erstarken! Zerfall
des gesellschaftlichen Zusammenhalts! Wer weiß denn schon, was
passieren wird? Am Ende das Jüngste Gericht, aber bis dahin fließt
noch viel Wasser am alten Arsch, dem Kölner Dom, vorbei.
Ludwig
Tieck hat vor 200 Jahren ein grandioses Buch geschrieben, über das
man in diesen Tagen trefflich nachdenken kann. Es heißt „Der
Hexensabbat“. Das Buch behandelt den historischen Beginn der
Hexenprozesse in Europa. Hatte bis dahin die Kirche eher Ketzer auf
die Folterbank gespannt, ging man nun dazu über Hexen zu verbrennen.
Historische Romane haben das Problem, dass sie von der
Geschichtsforschung überholt werden können – und mit Tiecks Roman
ist das sicher geschehen. Er hält den intensiven Forschungen zu
Hexenprozessen wohl kaum noch Stand. Aber das ist nicht mein Thema,
und es schadet dem (damals exzellent recherchierten) Roman auch
nicht.
Es
geht um den historischen Moment des Kippens, wie man es nennen
könnte. Wenn aus einer Gesellschaft, die sich gerade freut, dass die
unsinnigen Ketzer-Prozesse vorbei sind, dass Vernunft einkehrt und
die Städte mehr Freiheit haben, eine Gesellschaft des Hasses und der
Angst wird, die erlebt, dass, wie in einer Lawine aus Ereignissen,
genau das Gegenteil des Erhofften geschieht: Menschen werden wegen
angeblicher Hexerei angeklagt und verurteilt.
Die
Romanlektüre lässt sofort die alte Frage herausspringen: Wie konnte
es soweit kommen? Die Schwierigkeit, die
der Text großartig veranschaulicht, ist die der Gegenwärtigkeit. Solange alles gut geht, geht
alles gut. Ging es immer; bis es eben nicht mehr ging. Denn wenn
nicht, dann kann aus dem klugen, zurückhaltenden Abwarten das
Verpassen der letzten Chance werden. Oder das beherzte Handeln
beschleunigt nur einen fatalen Prozess, der im Gegenteil des
Bezweckten mündet. Erst im Nachhinein macht sich der
Literaturwissenschaftler dann über den Roman her oder der Historiker
über die echten Hexenprozesse, jeder wie er kann und mag. Im „Jetzt“
können wir uns noch die lästige Wartezeit an der Grenze auf dem Weg
in den Urlaub als Anekdote erzählen oder den lang geplanten Urlaub
am Plattensee als kleines Abenteuer mit Blick auf echten
Stacheldraht.
Man
hatte in Arras gehört, dass jemand ein paar Städtchen weiter der
Hexerei angeklagt wurde – wunderte sich und lachte.
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