Mittwoch, 21. Januar 2015

Kierkegaard und die Extremisten


Manchmal begehen Menschen wegen ihres Glaubens Dummheiten. Sie sprengen sich beispielsweise in die Luft. Oder sie stürmen eine Zeitschriftenredaktion. Oder sie köpfen reihenweise Ungläubige.

Ein moderat religiöser Mensch wird sich dann beeilen, Erklärungen zu finden: Karl der Große ließ nur politisch motiviert köpfen. Der Islamismus hat nichts mit dem Islam zu tun. Der Extremismus entspringt allein den Problemen unserer modernen Zivilisation. Das mag ja alles sein, und so kommt ein religiöses Weltbild wieder in Ordnung. Aber die eine oder andere Äußerung, die sich in religiöser Literatur findet, macht den Sachverhalt komplizierter. Zum Beispiel Kierkegaard.

Sören Kierkegaard hat ein Buch über eine der schaurigsten Geschichten des Alten Testaments geschrieben, das an schaurigen Geschichten nicht arm ist. „Furcht und Zittern“ handelt von der Opferung Isaaks. Eine Geschichte, die in der Literatur und Kunst immer wieder variiert wurde: Abraham soll Stammvater eines großen Volkes werden, so hat es Gott verheißen. Er wird alt und älter, seine Frau bekommt aber keinen Sohn. Irgendwann, die neunzig Jahre hat er längst überschritten, hätte er das Thema vielleicht beiseiteschieben mögen – och, jetzt will ich echt kein Kind mehr. Weißt Du, wie anstrengend das ist, Gott? –, aber da, ja da bekommt Sarah, seine Frau, einen Sohn: Isaak.

Der kleine Isaak wächst heran, prompt hat Gott eine echte Schnapsidee: Opfere mir Deinen Sohn auf dem Berg da drüben! Abraham geht tatsächlich los mit seinem Sohn und ist bereit, ihn zu opfern. Im letzten Moment greift Gott ein und sagt: „Stopp, halt. Lass mal gut sein, hier, nimm den Widder, opfere den, lass den Jungen in Frieden.“ Rettung in letzter Sekunde. Das Wunder geschieht, Gott greift in letzter Sekunde ein!

Um ihr (und mein) Weltbild schleunigst wieder in Ordnung zu bringen, haben Theologen alles Mögliche gegen diese Geschichte vorgebracht: sie soll zum Beispiel nur zeigen, dass der alttestamentliche Gott ganz echt keine Menschenopfer will – und hier setzt sich das endlich durch. Das wäre eine schöne historische Belehrung, früher waren Menschenopfer gut, seit Isaak schlecht.

Kierkegaard nimmt die Geschichte dagegen sehr ernst. Er nimmt sie als Exempel für einen Fall, der genauso den Selbstmordattentäter interessieren dürfte. Kierkegaard fragt: Gibt es eine teleologische Suspension des Ethischen? Das ist etwas kompliziert gefragt. Einfacher: Ist es denkbar, dass es unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein könnte, etwas Unethisches zu tun? Also durch den Mord am eigenen Sohn beweisen – ein krasseres Beispiel dürfte kaum jemandem einfallen –, dass man den Worten Gottes glaubt. 

Kierkegaard sagt: Ja, es gibt eine solche Suspension des Ethischen. „Furcht und Zittern“ ist damit, das dürfte klar sein, eine ungeheuerliche Zumutung. Ob man mit dieser Zumutung denn irgendetwas anfangen kann und was? –, das interessiert mich an dieser Stelle allerdings erstmal weniger. Ich nehme die Zumutung hin und Kierkegaard weiterhin ernst und frage mich dann: Aber ist das nicht DIE Rechtfertigung für Extremisten, für Sektierer, für terrorisierende Radikale?

Friedrich Wilhelm Graf hatte zum 200. Geburtstag Kierkegaards einen vernichtenden Artikel über ihn für die WELT verfasst. Ich hatte den schon einmal verlinkt und nur darauf hingewiesen, dass ich das für vollkommen verfehlt halte. Graf folgt im Grunde einer ähnlichen Argumentation und macht Kierkegaard zu einem Vordenker eines radikalen Fundamentalismus.

Aber lieber Herr Graf, werte Fundamentalisten, Sektierer und angehende Attentäter, der Preis, den Kierkegaard einfordert, um gegen das Ethische verstoßen zu dürfen, ist hoch. Es geschieht – und darum geht’s ja gerade – in „Furcht und Zittern“. Sogar in solcher Furcht, dass Abraham – bei Kierkegaard – nicht darüber sprechen kann. Zu Niemandem. Es gibt keine sektiererische Gemeinschaft, niemandem, der Mut zuspricht, und erst Recht keine  Gewissheit, später die Absolution oder ein paar Jungfrauen zu bekommen. Abraham ist allein.

Nochmal von der anderen Seite aufs Pferd. Was unterscheidet – ich trau mich kaum zu fragen – eigentlich die Hitler-Attentäter von den IS-Attentätern? Mit Kierkegaard gesprochen läge der Unterschied nicht allein (jajaja, natürlich auch!) in den jeweiligen Systemen, die bekämpft werden (NS vs. Ungläubige), sondern es kann auch ein Unterschied bei den jeweiligen Subjekten angenommen werden. Aus der Distanz ist der Unterschied für uns ja leicht auszumachen, Stauffenberg war ein Held, die IS-Attentäter sind böse. Aber war das, würde Kierkegaard vielleicht fragen, für die Hitler-Attentäter selbst genauso klar? Ist die Suspension des Ethischen für das Subjekt, das da gegen das Ethische verstoßen will, selbst zu rechtfertigen? Und wie ist sie keinesfalls zu rechtfertigen? Diese letzte Frage ist ja entscheidend, wenn Kierkegaards „Furcht und Zittern“ nicht zur Attentäter-Bibel werden soll.

Ganz platt geantwortet: Wer sich bei dem Verstoß gegen das Ethische auf der sicheren Seite wähnt, hat, nach Kierkegaard, eh schon zu Unrecht dagegen verstoßen. Wer den Verstoß gegen das Ethische kleinredet – bspw.: „Nur Ungläubige!“ – auch. Wer nicht zittert, angesichts seiner Anmaßung, sowieso.

Um die Kurve zum Blog-Thema zu bekommen: Kierkegaard ist nicht nett zum Spießbürger und zum Kulturchristen. Aber das heißt nicht, dass man mit seinem „Furcht und Zittern“ in der Hand begänne, auf Ungläubige einzuschlagen.

Samstag, 3. Januar 2015

Raus aus der Politik, rein in den Garten


Julia Friedrichs hat für das ZEIT-Magazin einen Artikel verfasst, der mich fast überflüssig macht. Es geht um einen gesellschaftlichen Trend des Rückzugs, ein Rückzug in ein „Neues Biedermeier“ oder mit meinen Worten: in eine neue Spießbürgerlichkeit. Das ist gut geschrieben, weitgehend klug argumentiert, viele interessante Aspekte sind da zusammengetragen.

Friedrichs geht von einigen Zeitschriften aus: „Flow“, „My Harmony“, „Emotion Slow“ und „Landlust“ natürlich. Sie zitiert ein paar signifikante Sätze – und verdammt nochmal, das liegt doch so auf der Hand, warum habe ich das nie gemacht?

Sie zitiert zum Beispiel aus „Flow“: „Seit ich mir die Zeit nehme, wirklich hinzusehen, fühlen sich so viele Momente, Beziehungen und Dinge anders an. Bedeutungsvoller. Schöner. Entspannter.“ Da liegt das neue Biedermeier auf dem Nierentisch. Und wer will da noch herummäkeln, dass man sich bei einer Stilanalyse bloß diesen kurzen Absatzes kaum entscheiden könnte, mit welcher stilistischen Katastrophe man beginnen soll, wenn sich für die Schreiberin nun alles ganz bedeutungsvoll und schön anfühlt? Nein: Bedeutungsvoll. Schön. Ein-Wort-Sätze. Die sind: Lyrisch. Prägnant. Cool. Am effektvollsten treten sie zu dritt auf. Und um das Maß der schlechten Effekthascherei endgültig voll zu machen, das Fass überlaufen zu lassen und den Boden auszuschlagen, sind es drei Komparative: „Bedeutungsvoller. Schöner. Entspannter.“ Das heißt: Maß voller. Fass übergelaufener. Boden ausgeschlagener.

Schnell hat man solch ein Geplapper überflogen. Bloß nicht nachfragen, wie sich denn ein Ding bedeutungsvoller „anfühlen“ könne. Denn genau darum geht es ja. Auch dieses Geplapper soll sich bedeutungsvoller anfühlen, als, sagen wir mal, eine politische Analyse. Das „Anfühlen“ kommt hier durch Worthülsen zustande, die Assoziationen wecken und die man eben nicht auf ihren Sinn hin befragen darf, wenn man mit diesem „Flow“ glücklich zu werden hofft.

Zurück zu Friedrichs und ihrem Artikel über den Rückzug. Sie trägt vieles zusammen, wie diese Zeitschriften, die neue Lust an der Handarbeit, an Gartenarbeit, das Interesse an „Aufmerksamkeit“, an Regionalem, an Langsamkeit etc. etc.

Manches wurde hier im Blog ja schon thematisiert. Allein das kritische Potenzial dieser Bewegungen unterschätzt Friedrichs. Sie wirft diese Frage zwar auf, ob das nicht vielleicht eine gesellschaftsverändernde Bewegung sein könnte, wenn Menschen begännen, „im Kleinen“ Veränderungen in die Tat umzusetzen. Aber Friedrichs Beispiele sind unfair: Die nachhaltige Hose für 300 Euro, ja, damit ertappen wir den neuen Spießbürger in flagranti. Aber nicht jede Stadtgarten-Bewegung und auch nicht die Real-Life-Super-Heroes beispielsweise sind elitäre Phänomene.

Leider, Frau Friedrichs, möchte ich da sagen, immer wenn man gerade dem Herrn Biedermeier die Nase samt Hand-Made-Brillengestell einschlagen will, kommt einem diese elende Komplexität dazwischen.