Dienstag, 19. Mai 2015

Der Moderne Spiesser


Ich stehe etwas ratlos vorm Jägerzaun. Als vor etwa zwei Jahren ein verklinkerter Anbau mit Möbeln vollgestellt wurde, die ich unfehlbar als meine erkannte, lag das Thema für mich irgendwie auf der Hand: Die neue Spießigkeit.

Nun läuft sich zum einen so ein Thema irgendwann tot, was nicht an den Spießern liegt, die durch vegane Ernährung sowieso nahezu unsterblich sind, sondern an mir, dem beim Nachdenken über Soja-Bratlinge mittlerweile so schlecht wird wie beim Essen derselben. Zum anderen habe ich von Freunden freundlicherweise ein Buch geschenkt bekommen, das meinen Blog geradezu überflüssig macht: „Der Moderne Spießer“ von Charlotte Förster und Justus Loring. Das trifft sich gut, so kann ich mit einer kurzen Besprechung dieses Buches nicht das Ende dieses Blogs verkünden, aber immerhin ein paar Veränderungen.

„Der Moderne Spiesser“ ist über weite Strecken sehr witzig, bereits die Zitate, die auf dem Cover abgedruckt sind, zeigen, in welche Richtung es geht, wie „Filme, die man echt im Original sehen muß, damit sie richtig wirken“ oder „‘Das Hinterland Mallorcas hat wirklich schöne Ecken‘ und andere entzückende Erkenntnisse“. Oder die Manufactum-Anspielung: „Es gibt sie noch, die guten Bücher.“

Ertappen ist das Prinzip des Buches: Das scheinbar Individuelle, die scheinbare Erkenntnis dieser Sätze, die so formuliert sind, als würden sie Überraschungen aussprechen, wird gerade als das Typische des Spießers gezeigt. Die Definition des modernen Spießers liefe also auf den Auf-Einem-Allgemeinplatz-Ertappten hinaus. Programmkinoschauer werden aufs Korn genommen genauso wie die Tatort-Gucker.

Das ist ein – auch selbstironisches – Spiel der Autoren, das reichlich Material böte, um daraus irgendein „Generation Y, Doof, Maybe, Golf“-Buch zu stricken. Es bleibt allerdings ein Spiel, das sich keinesfalls zu einer – auch nicht ironischen – Haltung durchringt. Die Ordnung des Spießers, die kommt nicht allzu gut weg, wie bei den „Spießerutensilien, die in keinem Haushalt fehlen dürfen“. Dort ist zum Beispiel die: „Bananenbox aus Plastik. So kommt der gesunde Snack unzerquetscht im Büro an.“

Zu viel Ordnung ist lächerlich. Der Spießer als der allzu Ordentliche. Doch am Ende nehmen wir ihn wieder herzlich in die Arme, denn wir wurden ebenfalls oft genug ertappt. Sei es auf Mallorca, sei es mit dem Kaffeebecher einer Universität in der Hand, wo wir einst ein Auslandssemester verbrachten. Zu vielfältig sind die Zeichen dieses Spießertums, als das am Ende jemand übrigbliebe, der mit dem Finger auf die anderen zeigen könnte. Das ist so gewollt – und zeigt eben die selbstkritische Haltung der Autoren, aber wenn wir alle einmal über uns gelacht haben, ist hier jedes kritische Potenzial endgültig verflogen.

Nicht unbedingt spießig, aber lustig sind die Bemerkungen oftmals schon, wie die Sätze, die den spießigen Chef kennzeichnen sollen: „… das hätte ich fast nicht besser machen können.“ Oder: „Diese E-Mail nicht vor Montagmorgen lesen.“ Oder: „Ich mag Querdenker und Visionäre in meinem Team – Leute wie uns gibt es selten.“ Etc.

Die vermeintlichen Zeichen der Spießigkeit, wie der alte Jägerzaun, der Bausparvertrag oder – etwas neospießiger – der Buddha, haben sich mit diesem Buch erledigt. Was sich in meinen letzten Posts bereits immer wieder abzeichnete, werde ich hier nun verstärkt vornehmen: Buchbesprechungen. Vor allem von Büchern der kleineren Verlage. Und hin und wieder ein paar andere Bemerkungen. Damit darf ich mich ebenfalls zu den Ertappten zählen: Ich werde jetzt einen Literaturblog machen. – Das geht locker als Zeichen einer modernen Spießigkeit nach Förster und Loring durch.

Charlotte Förster u. Justus Loring: Der Moderne Spiesser, Stuttgart: Cotta’sche Buchhandlung 2014.

Dienstag, 12. Mai 2015

Wieder das Gedenken und wider das Gedenken


Gedenken ist ein schwieriger Sport, zumal in Deutschland dem großen, vielleicht allergrößten Gedenkland. Da gibt es Denkmale fürs kurze Innehaltgedenken, Mahnmale für das Tiefstgedenken an besonderen Feiertagen und Muttermale für den Muttertag. In Deutschland gibt es besonders viel, dessen gedacht werden muss, aber das macht es nicht einfacher. Denn der Gedenksport wird nicht, wie zum Beispiel die Turnübung am Reck, mit jeder Wiederholung einfacher. Die Zunge fabriziert nicht mit jeder Gedenkübung lockerer die gedenkenden Worte, der Kranz fliegt nicht flotter und weiter auf das Soldatengrab. Im Gegenteil, das Gedenken wird eher schwieriger, je öfter es geübt wird.

Zwei Weltkriege sind jedenfalls mindestens einer, eigentlich eher zwei, zu viel. Das muss mühsam verarbeitet und immer wieder be- und gedacht werden. Vor einigen Wochen startete Oliver Hirschbiegels Film „Elser“ über den Widerständler Georg Elser, der ein Attentat auf Adolf Hitler durchführte, das – Spoiler – keinen Erfolg hatte. Im Zusammenhang mit diesem Film, den ich nicht kenne, kam hier und dort wieder Deutschlands schwierige Geschichte mit seiner Geschichtsverarbeitung zu Wort. Denn nicht genug, dass Widerständler oder Exilanten in der NS-Zeit nicht so gut gelitten waren – was aus der Logik des Regimes wenig überraschend ist –, sie wurden auch später angefeindet oder ignoriert, als längst Demokratie und Sonnenschein auf Adenauers Agenda stand.

Georg Elser wurde erst sehr langsam rehabilitiert. Wolfgang Schäuble hat das in einer Rede 2008 reflektiert:

„Wir Deutschen haben uns mit dem Widerstand schwer getan. Das mag mit einem Abwehrmechanismus zu tun haben, der aus der eigenen Schuld resultiert und einem Bedürfnis, das Geschehene zu verdrängen. Es fiel nicht leicht anzuerkennen, dass es Menschen gab, die ein klareres Urteil und den Mut hatten, sich dem Hitler-Regime zu widersetzen. Das gilt schon für Stauffenberg und seine Mitverschwörer. Das gilt aber noch viel mehr für Elser, den schwäbischen Handwerker, der viel früher ein klares Urteil fasst und einfach handelt.

Georg Elser stand lange Zeit nicht nur am Rande der öffentlichen Aufmerksamkeit, sondern war stummes Opfer unterschiedlicher Diffamierungen. Heute endlich erinnern wir uns mit Dank an Georg Elser.“

Soweit, so gut. Auch wenn Schäubles Worte vielleicht etwas zu freundlich daherkommen, er trifft schon ziemlich den Kern. Aber dann setzt er fort:
„Er [G. Elser] gehört zu denen, die es uns leichter machen, auf die Geschichte unseres Landes zurück und hoffnungsvoll nach vorne zu blicken.“

So endet die Rede mit diesem hoffnungsvollen Blick zurück und nach vorn. Hoffnung überall. Moment, wie bitte? Das ist atemberaubend schnell geschlossen. Von der Scham über allzu viele Menschen, die Elser zunächst diffamierten, hin zur Hoffnung, die über uns aufgeht, weil die Geschichtsschreibung irgendwann doch gegenüber den Hetzern Recht behält?! Da komme ich nicht wirklich mit. Sind wir Georg Elsers legitime Nachfahren, oder wie? Haben wir Hoffnung, weil es immer einen klugen Schwaben gibt, der den Kopf schon für alle anderen hinhalten wird?

Obwohl Schäuble es ja sagt, Deutschland sei nicht das Land, das seine Widerständler feiert, wir heißen nicht Stauffenberg oder Elser, schließt er nichts daraus. Das ist Gedenken als Anteilnahme, als Seinen-Anteil-Nehmen. Da läuft eine klare Linie von Elser zu uns, die wir heute an ihn denken und Hoffnung schöpfen. A bissle was vom Elser lässt sich doch leicht für die CDU abschneiden, die, das ist anzunehmen, wenn es sie denn damals schon gegeben hätte, mit einem Hitler spielend fertiggeworden wäre.

Vorsicht beim Gedenksport, das galt zuletzt zum Beispiel auch für die Grass-Gedenkfeiern und Beiseins-Bekundungen hier und dort, und das wusste schon Jesus von Nazareth:

„Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Propheten Grabmäler baut und die Gräber der Gerechten schmückt und sprecht: Hätten wir zu Zeiten unserer Väter gelebt, so wären wir nicht mit ihnen schuldig geworden am Blut der Propheten! Damit bezeugt ihr von euch selbst, dass ihr Kinder derer seid, die die Propheten getötet haben.“ 

Quellen:
http://www.wolfgang-schaeuble.de/index.php?id=30&textid=1215&page=12
Bibelzitat: Mt. 23, 29-31, Lutherbibel 1984.